Ein Jahr Bundestag - 7 Dinge, die ich für erfolgreiche Public Affairs gelernt habe

Ich arbeite jetzt seit einem Jahr als Wissenschaftlicher Mitarbeiter im Berliner Büro eines Bundestagsabgeordneten mit Schwerpunkt Verkehrspolitik. Vor 12 Monaten war ich noch Consultant und habe täglich daran gearbeitet Public Affairs-Konzepte verschiedener Mandanten zum Erfolg zu führen. Einiges, was ich im Bundestag erlebt habe, hat meine Sicht auf das PA-Geschäft verändert, andere Eindrücke haben mich in Strategien und im ´how-to´ bestätigt.

 



Hier also meine sieben lessons learned aus dem Bundestag für die Public Affairs-Arbeit:

 

1. Interessen wirksam vertreten: Gespräche mit Abgeordneten nur, wenn es sie wirklich braucht

Um sicherzugehen, dass unsere Position da auch wirklich ankommt, machen wir lieber ein Gespräch mit dem Abgeordneten!"

So oder so ähnlich ticken leider sehr viele Interessenvertreter und offenbar werden sie darin auch von PA-Beratungen bestärkt. In einigen Fällen kann das durchaus sinnvoll sein, wer aber längerfristig am Thema des Abgeordneten arbeiten will, sollte Kontakt zu seinen Mitarbeitern aufnehmen, ihnen seine Positionspapiere (gerne auch per E-Mail) senden und sich mit ihnen über die Herausforderungen des Themenfeldes regelmäßig austauschen. Dieses Vorgehen ist bei weitem effizienter als - oft erfolglos - über Wochen zu versuchen einen Termin beim Bundestagsabgeordneten zu erhalten und dann in einem 30-Minuten-Meeting Positionen und Argumente darzustellen, die nicht wesentlich über ein gut geschriebenes Positionspapier hinausgehen. Der Austausch mit der Arbeitsebene empfiehlt sich außerdem, weil die Wissenschaftlichen Mitarbeiter*innen mehr Zeit haben sich auch mit den fachlichen Details eines Problems und möglichen Lösungen eingehender zu beschäftigen. Zu wissen, in welchen Situationen es wirklich notwendig ist den Abgeordneten persönlich zu sprechen, macht wirksame Interessenvertretung aus.

 

2. Politik ist keine Wissenschaft - Haltung vs. Wissen

Wenn wir denen das ordentlich kommunizieren, dann sehen die das auch ein und übernehmen dann unsere Position."

Ja, es gibt Interessenvertreter, die kommen mit genau diesem Habitus in den Bundestag und versuchen eine sehr klare Haltung des Abgeordneten in einer strittigen Frage durch Wissensvermittlung, schöne Grafiken und bunte Bilder aufzubrechen und ihn davon zu überzeugen, dass das Gegenteil von dem wofür er seit Jahren steht oder wogegen er seit einer Legislaturperiode gekämpft hat, richtig ist. Danach sind sie enttäuscht, dass ihre "wissensbasierte" Charmeoffensive nicht sofort durchgeschlagen hat, sondern der/die Abgeordnete bei seiner/ihrer Haltung bleibt. Interessenvertreter*innen sollten wissen, dass Politik nicht immer einfach nur auf Wissen und Fakten basiert. Im Kern von Politik stehen sehr klare und feste Haltungen. Außerdem ist Public Affairs ein kontinuierliches Spiel und Veränderungen in den Haltungen der Abgeordneten – für die sie ja auch gewählt wurden – sind entweder gar nicht oder nur ´on the long run´ möglich. Deswegen ist man als Interessenvertreter*in gut beraten seine Ressourcen an den Stellen einzusetzen, wo Erfolg möglich und wahrscheinlich ist. Es macht zum Beispiel wenig Sinn zu versuchen Abgeordnete, die sich bereits öffentlich gegen Dieselbusse ausgesprochen haben, von den Vorzügen eben jener Technologie zu überzeugen. Wer das als Interessenvertreter*in versucht zeigt, dass er sein gegenüber entweder schlecht kennt oder die entsprechende Haltung seines Gesprächspartners nicht ernst genug nimmt. Beides ist unprofessionell, wird registriert und führt dazu, dass man so schnell keinen neuen Termin bekommt.

 

3. Strategie ist alles - Bündnisse lohnen sich

Wir gehen schnell und alleine vor, das ist effizient. Wir haben sowieso die besten Argumente und die Abstimmung mit den anderen Verbänden kostet sowieso nur Zeit."

Im Gegenteil: Gerade in Phasen, in denen dutzende Stellungnahmen zu einer Vorlage auf einen Abgeordneten und seine Mitarbeiter*innen einprasseln und es herausfordernd ist, die verschiedenen Positionen abzuwägen macht es Sinn, die eigenen Positionen mit anderen Verbänden/Unternehmen/NGOs abzustimmen und gebündelt an die fachlich zuständigen Abgeordneten zu übermitteln. Der hierfür notwendige Aufwand wird durch eine stärkere Position aller Beteiligter mehr als wettgemacht. Der Trend zu dieser Vorgehensweise lässt viele „Einzelgänger“ zurück, die ihre Position infolgedessen nur schwer durchsetzen können. Fazit: Bündnisse lohnen sich - gerade Allianzen, die so nicht erwartet werden, beispielsweise zwischen Industrie- und Umweltverbänden - überzeugen am nachhaltigsten.

 

4. Fluch und Segen: Positionspapiere

Wir brauchen kein Positionspapier. Das ist sowieso zu viel Arbeit und gelesen wird es dann auch nicht.
In meinen 12 Monaten im Bundestag habe ich Dutzende Positionspapiere gelesen. Manche waren zwei Seiten lang, andere hatten einen Umfang von 17 Seiten. Die guten Positionspapiere unterscheiden sich jedoch nicht durch ihre Länge, sondern durch den Zeitpunkt zu dem sie zugeschickt werden und zum davor und danach. Zum Zeitpunkt: gute Interessenvertreter*innen wissen, in welchem Stadium sich Gesetzgebungsprozesse befinden und ob es eher wichtig ist mit einem Positionspapier grundsätzliches zur Thematik darzustellen oder ob es zielführend ist für Änderungsanträge von Bundestagsfraktionen Detailvorschläge zu machen und zu begründen. Positionspapiere einen Tag vor der Abstimmung zu übersenden zeigt, wie wenig die Autoren vom politischen Geschäft verstehen, denn viele Gesetzesinitiativen brauchen Monate, bevor sie im Planum abgestimmt werden können. Zum Davor und Danach: ein Positionspapier, das zum aktuellen Stand des Gesetzgebungsprozesses passt zu erstellen ist das eine. Die Frage, wie es die „richtigen“ Leute in den Fraktionen zu lesen bekommen eine andere. Gerade im Vorlauf zu Gesprächen mit Abgeordneten sollte man seine Positionspapiere als Interessensvertreter*in an die Referenten senden. Hier zahlen sich natürlich auch Kontakte in die Fraktionen aus, die wissen, wer die entscheidenden Referent*innen für das konkrete Thema sind. Auch nach Übersendung des Positionspapiers und nach einem persönlichen Treffen mit den Referenten und/oder Abgeordneten stehen erfolgreiche Lobbyisten mit Rat und Tat zur Seite, können weitere Infos besorgen und sind auch in den folgenden Prozessen – und nicht nur auf den Sommerfesten der Verbände – präsent.

 

5. Wissen wie man über Bande spielt

Wir machen nur Termine mit Regierungspolitikern. Public Affairs bei der Opposition ist Zeitverschwendung.
Bei begrenzten Ressourcen und wenig Zeit mag dieser Ansatz für die Arbeit als Interessensvertreter*in auf den ersten Blick richtig sein. Allein: die Regierungsparteien sehen sich einer Vielzahl gut organisierter Interessen gegenüber. Hier durchzudringen ist nicht immer leicht und auch Misserfolge sind nicht unwahrscheinlich. Vor diesem Hintergrund kann es sinnvoll sein, seine Interessen den Oppositionsparteien vorzutragen – insbesondere Abgeordneten, die den eigenen Ideen offen gegenüberstehen und die über die parlamentarischen Mittel (mit Anträgen, im Ausschuss, mit Kleinen Anfrage, mit mündlichen/schriftlichen Fragen, bei der Regierungsbefragung etc.) Druck auf die Regierung ausüben können. Der Vorteil dieser Bandenspiel-Strategie: die eigenen Themen erhalten durch die Opposition befördert mit höherer Wahrscheinlichkeit eine öffentliche Aufmerksamkeit. So dringen sie ggf. auch zur Regierung durch und werden von ihr mitunter „abgeräumt“. Diese Strategie empfiehlt sich besonders dann, wenn man bei Terminen mit den Regierungsvertretern auf Granit beißt und merkt, dass keine Offenheit für die eigenen Interessen besteht. Klar ist aber auch: bei der Linksfraktion braucht man als Lobbyist*in der Rüstungsindustrie auch nach einer Abfuhr von der Regierung nicht aufschlagen und das Bandenspiel versuchen.

 

6. Digital Public Affairs works

Twitter, Instagram und Co. sind für die Public Affairs nicht wirklich zu gebrauchen.
Vor kurzem saß ich im Bundestagsrestaurant „Lampenladen“ zufällig neben Bundesminister Peter Altmaier. Aber er bemerkte mich gar nicht. Der Grund war ganz einfach: er war die ganze Zeit über auf Twitter. Nicht ein einziges Mal schaute er in 30 Minuten nach oben. Diese Begebenheit deckt sich mit meiner allgemeinen Einschätzung: die Mehrzahl der Abgeordneten ist auf Social Media selbst unterwegs (das schließt nicht aus, dass sie sich durch ihr Team unterstützen lassen). Umso mehr Sinn macht Digital Public Affairs. Bei jeder Herausforderung der politischen Kommunikation bzw. Interessensvertretung auf Digital Public Affairs-Lösungen zu setzen, ist im Zweifel aber genauso kurzsichtig, wie ausschließlich „klassische“ Public Affairs-Strategien und -Instrumente zu verwenden. Den größten Erfolg verspricht die Passung beider Elemente. In einer orchestrierten Kombination entfalten digitale und klassische Elemente der Public Affairs die stärkste Wirkung. Die üblichen strategischen Entscheidungen hier selbstkritisch zu hinterfragen, eröffnet ggf. eine neue Perspektive auf dem Pfad der Public Affairs-Arbeit. In der Bildungspolitik gehört zwischen Whiteboard oder Lehrer ebenso ein „und“, wie zwischen Digital-Kampagne oder Positionspapier.

 

7. Augen auf den Bundesrat

Wir treten immer zuerst an die Bundestagsabgeordneten heran. Alles Wichtige wird hier entschieden.
Der gesamte Prozess um die Verordnung für die E-Scooter bzw. Elektro-Kleinstfahrzeuge zeigt, wie falsch diese Perspektive auf Politik und dieser Ansatz von Public Affairs ist. Tatsächlich war der Deutsche Bundestag weder an der Erstellung der Verordnung, noch an dem Prozess seiner Überarbeitung beteiligt, sondern der Bundesrat. Wer also hier nach der Veröffentlichung des Verordnungsentwurfes noch viele Termine mit Abgeordneten des Bundestages gemacht hat, der hat seine Zeit verschwendet. Verordnungen gehen von der Bundesregierung in den Bundesrat und können hier mit Maßgaben versehen werden. Aber nicht nur im konkreten Fall der Verordnung für die E-Scooter ist eine PA-Strategie, die den Bundesrat im Blick hat von Vorteil. Auch bei vielen anderen Gesetzen spielen die Länder eine wichtige Rolle, werden jedoch zu selten beachtet. Auch im Bundestag führt man Lobbygespräche, in denen man gegen Ende den Tipp gibt, doch mal bei Land A oder B mit dem Thema aufzuschlagen. Das ist das untrügliche Anzeichen für jede/n PA-Berater*in, dafür dass er/sie mehr die Länder in den Blick nehmen sollte.    

 

In leicht veränderter Fassung durfte ich diesen Artikel auch als Gastautor auf Politik & Kommunikation veröffentlichen. 

 

Bildquelle Vorschaubild: pixabay.com/jebisa

 


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Kommentare: 1
  • #1

    markud (Mittwoch, 29 Mai 2019 09:09)

    ich möchte ergänzen:
    Es scheint immer noch Menschen zu geben, die bei Einladungen per Email keine Kalenderdatei (ics) mitsenden.

    Dabei ist das ein sehr hilfreiches Instrument, um erst einmal "in den Kalender" zu kommen. Dann lässt sich leicht prüfen, ob der Termin passt oder ob man ihn als Option drinlässt