Diesen Artikel wird nicht jede/r lesen, sondern nur eine kleine Digital Public Affairs-Elite, denn es ist ein Blogbeitrag; er steht nicht in der Zeitung. Doch gibt es diese Elite der Public Affairs-Treibenden überhaupt? Unsere These lautet: Ja, es gibt sie! Vielleicht gehören wir hin und wieder selbst zu ihr, wenn wir bei Herausforderungen der Interessensvertretung einseitig auf Lösungen der Digital Public Affairs setzen, in der Diskussion auf digitalen Kanälen eher um uns selbst kreisen oder die Vorteile des „analogen“ Dialogs aus dem Blick verlieren.
Wie sieht Digital Public Affairs heute (leider) häufig aus?
Drei verbreitete Behauptungen zu Digital Public Affairs:
1. Digital Public Affairs geht immer: Nicht nur im Alltag wird die Digitalisierung als Wundermittel gepriesen, sondern auch in der Public Affairs Arbeit selbst. Kunden ernten einen Shitstorm auf Facebook? Schnell eine Gegenoffensive via Social Media starten! Ein Mandant bekommt keinen Termin bei einem Bundestagsabgeordneten? Vielleicht kann man sein Büro antwittern?! Aber ist die Public Affairs Arbeit damit getan? Haben wir als Public Affairs-Mitarbeiter*innen die Reputation unserer Kunden damit gerettet oder die entscheidenden Botschaften bei den Parlamentariern platziert? Wer weiß. Was wir aber wissen: Selbst Digitalunternehmen wie Microsoft, Google und Facebook lassen sich persönlich blicken und treten mit Politikern auf selbstorganisierten parlamentarischen Abenden und bei Hintergrundgesprächen in Kontakt.
2. Digital Public Affairs ist wirksamer: Das Stichwort „Digitalisierung“ zu verwenden, kommt auf Twitter immer gut an. Viele User suchen nach diesem populären Begriff, um an relevantem Content teilzuhaben. Wenn man dann noch zusätzlich ein paar hundert oder tausend Follower hat, sehen wirklich viele Leute, was man zu #digitalprivacy tweetet und viele Likes und Shares sind dann ein echter Erfolg. Oder? Von der Unionsfraktion nutzt nur jeder zweite Abgeordnete (149 von 309; 48 Prozent) Twitter, ganz abgesehen von Entscheider*innen in den Ministerien. Und selbst wenn sie über ein Social Media-Konto verfügten: Lesen und verwalten Politiker ihre eigenen Accounts? Kommt da überhaupt was an oder tweetet man ins Nirwana? Konnte man als NGO, als Unternehmen oder Verband überhaupt etwas mit seinem Tweet bewirken? Kann es sein, dass nur andere Mitglieder der Digital Public Affairs-Elite den Meinungsaustausch in sozialen Medien suchen? Was bringt das Ganze? Wie lässt sich der Mehrwert im Sinne der Interessensvertretung ganz konkret messen?
3. Digital Public Affairs ist dialogischer: Digital Public Affairs sind cool – man kann direkt über die sozialen Medien mit Politikern kommunizieren. Ob man aber wirklich in den direkten Austausch mit Entscheidungsträgern aus der Politik tritt und tiefgründige, zielführende Gespräche führt? Zweifel daran sind berechtigt, denn: Nur 26 Prozent der deutschen Facebook-User nutzen das Netzwerk täglich (ARD-ZDF-Onlinestudie 2016). Außerdem zeigen sich auch regionale Unterschiede in der Nutzung sozialer Netzwerke: In Berlin nutzen 42 Prozent der Social Media-Nutzer Twitter, in Brandenburg nur 19 Prozent. Die meisten anderen Bundesländer erreichen Werte um die 30 Prozent. Dialog via Digital Public Affairs scheint nur mit der Digital Public Affairs-Elite möglich. Und selbst daran kann vor dem Hintergrund, dass die meisten Nutzer von Facebook, Twitter und Instragram eher nach Hashtags wie #Fußball oder #Bachelor als nach #Politik und #SPDbpt18 suchen, berechtigt gezweifelt werden. Dialog? Nein danke?!
Gibt es einen „richtigen“ Weg, Digitale Public Affairs einzusetzen? Oder: Digital Public Affairs geht auch anders!
Drei Tipps, wie Digital Public Affairs gezielt eingesetzt werden können:
1. Auf die Passung kommt es an: Bei jeder Herausforderung der politischen Kommunikation bzw. Interessensvertretung auf Digital Public Affairs-Lösungen zu setzen, ist im Zweifel genauso kurzsichtig, wie ausschließlich „klassische“ Public Affairs-Strategien und -Instrumente zu verwenden. Den größten Erfolg, um die Zielgruppe zu erreichen, verspricht die Passung beider Elemente. In einer orchestrierten Kombination entfalten digitale und klassische Elemente der Public Affairs die stärkste Wirkung. Die üblichen strategischen Entscheidungen hier selbstkritisch zu hinterfragen, eröffnet ggf. eine neue Perspektive auf dem Pfad der Public Affairs-Arbeit. In der Bildungspolitik gehört zwischen Whiteboard oder Lehrer ebenso ein „und“, wie zwischen Digital-Kampagne oder Positionspapier.
2. Ohne Wirksamkeitskontrolle geht nichts: Likes und Shares sind nicht alles. Erst Recht sind sie keine guten Indikatoren für den Erfolg im Bereich Public Affairs, denn nur einen MdB mit einer Digital-Kampagne auf einer digitalen Plattform, auf der er/sie aktiv ist, zu erreichen, reicht nicht aus. Offen bleibt, ob er/sie im Gesetzgebungsprozess die Interessen des Akteurs der Digital-Kampagne wirklich aufgreift. Für eine echte Wirksamkeitskontrolle der Digital-Public Affairs muss sie sich von den KPIs der Public Relations lösen und die harten KPIs der klassischen Public Affairs anlegen. Die Wirksamkeit von Digital Public Affairs wird sich so auch nicht immer kurzfristig messen lassen, denn Politik ist ein Spiel mit vielen Runden.
3. Digitalen Dialog mit analogem Dialog verknüpfen: Digital Public Affairs hat durchaus den Vorteil eines Dialogs mit mehr Nutzer*innen innerhalb kürzerer Zeit. Aber der digitale Dialog wird umso wirksamer, wenn er regelmäßig mit Face-to-Face-Dialog kombiniert wird. Hier lassen sich Akteure integrieren, die keinen Fokus auf die digitalen Medien legen – zur Erinnerung: 46 Prozent der deutschen Ü40 nutzen Twitter nicht – aber auch auf diese Zielgruppe gilt es, die Public Affairs-Arbeit auszurichten. Mancher Austausch kann auch nur offline stattfinden, weil Vertraulichkeit und ein persönliches Gespräch zwischen den Gesprächspartnern geschätzt wird. Dem kann mit Gesprächen am Rande von Events Raum gegeben werden. Veranstaltungen können zudem Fachdiskurse aus Online-Fachforen mit der breiten Öffentlichkeit spiegeln und so neuen Input einholen. Podien oder Workshops mit Digital Natives und Akteuren, die eher auf „klassische“ Public Affairs setzen, zu besetzen, erzeugt interessante Reibungspunkte und mitunter einen befruchtenden Austausch.
Und jetzt?
Die Digitalisierung verändert die Politik und somit auch die Interessenvertretung. Bei allem Hype sind die Lösungen der Digital Public Affairs aber nicht immer die effizientesten. Dennoch lohnt sich ein ehrlicher Blick auf Chancen und Möglichkeiten, denn in einer abgestimmten Kombination von „klassischer“ und digitaler Public Affairs liegt der Schlüssel zu wirklich wirksamer Interessensvertretung. Diese ist nicht nur an eine Digital Public Affairs-Elite gerichtet, sondern hat verschiedene Zielgruppen im Blick, misst ihren Erfolg an harten KPIs und verknüpft regelmäßig digitalen mit analogem Dialog.
Autoren
Francisca A. Schmidt
Wirtschaftsverband
&
Christian Storch
Public Affairs-Beratung
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