Alternatives Rücktrittsschreiben für Andreas Scheuer

Sehr geehrte Bürgerinnen und Bürger,

liebe Freundinnen und Freunde der CSU,

 

Politik heißt überzeugen, gestalten und Verantwortung übernehmen.

 

Im Landtags- und im Bundestags-wahlkampf 2013 hat die CSU für die Idee einer „Ausländer-Maut“ geworben. Damals habe ich als Generalsekretär der CSU an der Seite von Horst Seehofer für diese Idee gekämpft. Und es hat sich gelohnt: Wir haben Sie als unsere Wählerinnen und Wähler von der Idee einer Pkw-Maut nur für Ausländer überzeugt. In der Koalition mit der SPD haben wir die „Ausländer-Maut“ durchgesetzt.

 

Die Umsetzung haben wir seitdem sechs Jahre lang vorangetrieben. Beim Staatsrechtler Prof. Hillgruber gaben wir ein Gutachten und neun Stellungnahmen in Auftrag, um uns die Europarechtskonformität der Pkw-Maut bestätigen zu lassen. Denn der Wissenschaftliche Dienst des Deutschen Bundestages, einige Staatsrechtler und auch die EU-Kommission hatten erhebliche Zweifel, ob die Ausländer-Maut mit dem EU-Recht vereinbar sei – schließlich wollten wir von Anfang an mit dieser Maut nur Ausländer zur Kasse bitten und die Deutschen nicht. Prof. Hillgruber bestätigte uns zehn Mal, dass die Ausländer-Maut europarechtskonform sei. Es gab auch andere Gutachten, die zu anderen Ergebnissen kamen, aber die hatten wir ja nicht in Auftrag gegeben.

 

Unser damaliger Bundesverkehrsminister Alexander Dobrindt fand mit der EU-Kommission nach langen Verhandlungen Ende 2017 schließlich eine Einigung. Nach leichten Veränderungen am Maut-Konzept und einem überarbeiteten Pkw-Maut-Gesetz waren wir uns sicher: die „Ausländer-Maut“ ist europarechtskonform und kann eingeführt werden. Die Erfüllung unseres Wahlkampfversprechens von 2013 war zum Greifen nah.

 

Die Republik Österreich sowie das Königreich der Niederlande und das Königreich Dänemark schalteten 2017 jedoch den Europäischen Gerichtshof ein, denn sie hatten noch immer Zweifel an der Europarechtskonformität unserer „Ausländer-Maut“. Ich sage es ganz klar: das war ein großes Problem. Wir hatten die Einführung der Pkw-Maut aufgrund der Verhandlungen mit der EU-Kommission schon ein paar Mal verschieben müssen. Außerdem hatten wir schon ein milliardenschweres Vergabeverfahren gestartet, um Firmen zu finden, die uns bei Erhebung und Kontrolle der Pkw-Maut tatkräftig unterstützen. Mein Amtsvorgänger Alexander Dobrindt entschied, dass es besser sei das Urteil des EuGH abzuwarten, bevor wir Milliarden-Verträge mit Maut-Firmen abschließen. Das Projekt lag also auf Eis und drohte sich um Jahre zu verzögern.

Dann kam die Bundestagswahl 2017. Sie, liebe Bürgerinnen und Bürger haben mich in meinem Heimatwahlkreis Passau direkt in den Deutschen Bundestag gewählt. Für dieses Vertrauen möchte ich mich an dieser Stelle noch einmal ausdrücklich bedanken. Im März 2018 wurde ich von Bundeskanzlerin Dr. Angela Merkel zum Bundesverkehrsminister ernannt. Nun war es an mir die Pkw-Maut umzusetzen. Die gesamte CSU setzte ihr vollstes Vertrauen in mich, dass ich es schaffen würde die Maut in dieser Legislaturperiode an den Start zu bringen.

 

Als erstes entschied ich, dass wir noch vor der bayerischen Landtagswahl Mitte Oktober 2018 den ersten millionenschweren Auftrag zur Kontrolle der Pkw-Maut vergeben. Das sollte ein klares Signal an die Menschen in Bayern sein: die CSU liefert, Andreas Scheuer liefert. Zwar war zu diesem Zeitpunkt völlig unklar, wie das Verfahren vor dem EuGH ausgehen würde, und mir war klar, dass man keine Verträge abschließt, wenn die Rechtslage unklar und ein gerichtliches Verfahren noch anhängig ist, aber ich war bereit mit den Steuergeldern der Bürgerinnen und Bürger zu zocken. Wichtig war mir für das Gesamtprojekt, dass die Pkw-Maut unbedingt noch vor dem Bundestagswahlkampf 2021 an den Start gehen musste. Ansonsten wäre sie womöglich erneut zum Wahlkampfthema geworden. Verzögerungen durfte es also nicht geben. Wir mussten alles tun, damit die Maut pünktlich im Oktober 2020 eingeführt werden konnte.

 

Als nächstes entschied ich, dass wir auch den zwei Milliarden Euro schweren Vertrag zur Erhebung der Pkw-Maut noch im Jahr 2018 vergeben. Ich hätte natürlich auch auf das Urteil des EuGH warten können, dass für Sommer 2019 angekündigt war, aber dann hätte sich das Projekt gegebenenfalls so verzögert, dass es in den Bundestagwahlkampf 2021 hineinfällt. Und das wollte ich ja um jeden Preis verhindern. Die SPD hatte mir zwar auch angeboten, dass sie die Milliarden, die im Bundeshaushalt für das Maut-Projekt eingestellt waren, auch in 2019 erneut in den Haushalt einstellen könnten und mir empfohlen mit dem Zuschlag im Vergabeverfahren zu warten, aber ich wollte Fakten schaffen und die Einführung der Maut nicht noch weiter verzögern.

 

Die Vertragsverhandlungen zum Abschluss des Erhebungsvertrages waren aber sehr zäh. Erstens wollte kein Bieter einen Vertrag abschließen, solange der EuGH nicht sein Urteil zur Frage der Europarechtskonformität der Pkw-Maut gesprochen hatte. Alle Bieter drängten darauf, dass sie, wenn sie bei einem solchen Himmelfahrtskommando mitmachen sollten, eine lukrative Entschädigung erhalten würden, für den Fall, dass der EuGH das Projekt kippen sollte. Also billigte ich den Bietern eine fürstliche Entlohnung für diesen Fall zu und übernahm für den Bund das volle Risiko. Ich wollte das Projekt unbedingt. Mir war bewusst, dass ich diese Entschädigungsregelung eigentlich dem Bundestag zur Freigabe hätte vorlegen müssen, denn sie war wirklich exorbitant und für solche Fälle verlangt Art. 115 unserer Verfassung, dass der Bundestag zustimmt. Aber dann hätte es viele Fragen und Diskussionen gegeben. Das wollte ich nicht. Also entschied ich diese Entschädigungsklausel am Bundestag vorbei auszuhandeln.  

 

Aber es gab noch ein zweites großes Problem in den Vertragsverhandlungen: Eigentlich hatte mir der Bundestag einen Kostenrahmen von maximal zwei Milliarden Euro für die Maut-Verträge gesetzt. Der einzige Bieter, der am Ende des Vergabeverfahrens übrig blieb rief aber einen Preis von drei Milliarden Euro auf. Mir war klar: in „normalen“ Verhandlungsgesprächen war es nicht möglich den Preis um eine Milliarde Euro zu senken. Also entschied ich, dass mein Staatssekretär und ich in geheimen Verhandlungen mit den Bietern klären, wie der Preis auf andere Art gesenkt werden könnte. Dass das gegen das Vergaberecht verstößt war mir bewusst. Aber ansonsten hätte ich das Vergabeverfahren beenden müssen und die Pkw-Maut wäre nicht bekommen. Ich hätte als Verlierer dagestanden, als jemand, der für die CSU nicht liefert. In den geheimen Verhandlungen mit den Bietern – von denen wir bewusst keine Protokolle, Mitschriften oder Vermerke anfertigen ließen – handelten wir drei Tricks miteinander aus, wie der Kostenrahmen von zwei Milliarden Euro gehalten werden könnte: Erstens tricksten wir an den Portokosten und einigten uns darauf, dass die Betreiber sie nur auslegen sollten, denn dann könnten wir die Umsatzsteuer sparen. Das war ein legaler Trick. Die beiden anderen waren nicht legal. Wir überlegten uns zweitens, dass wir an der fixen und variablen Vergütung herumdrehen könnten. So erdachten wir neue variable Vergütungen für Leistungen, die ursprünglich mit der fixen Vergütung abgegolten waren und versteckten so über die Vertragslaufzeit von 12 Jahren hunderte Millionen Euro. Drittens, und das war ein echter Clou, sorgten wir dafür, dass die Pkw-Maut-Betreiber nicht nur den staatlichen Lkw-Maut-Betreiber Toll Collect und seine Infrastruktur (Mautbrücken und Mautterminals) mitnutzen konnte, sondern wir vereinbarten auch, dass die Kosten der Mitnutzung zu einem Teil vom Staat übernommen werden würden. Wir subventionierten das Pkw-Maut-System also mit einem dreistelligen Millionenbetrag aus der Staatskasse. Zusammen mit der Zusicherung der sehr lukrativen Entschädigungsregelung für den Fall, dass der EuGH das Projekt Mitte 2019 kippen sollte, war der letzte verbleibende Bieter tatsächlich bereit sein Angebot auf zwei Milliarden Euro zu senken. Am 30. Dezember 2018 entschied ich, dass die Mautverträge über zwei Milliarden Euro trotz des noch ausstehenden EuGH-Urteils unterzeichnet werden. Mir war bewusst, dass ich damit volles Risiko eingegangen war. Ich hatte die Steuergelder der Bürgerinnen und Bürger auf eine Karte gesetzt, hatte Vergabe- und Haushaltsrecht gebrochen und hunderte Millionen Euro mit illegalen Tricks vor dem Bundestag und der Öffentlichkeit versteckt. Mit diesen Entscheidungen und meinem Handeln habe ich die Pkw-Maut zu meinem ganz persönlichen Projekt gemacht, für das ich die politische Verantwortung trage.

 

In den Monaten seit dem Urteil des Europäischen Gerichtshofes vom 18. Juni 2019, der eindeutig klarstellte, dass die CSU-Ausländer-Maut gegen das europäische Recht verstößt, habe ich mich um die vollständige Aufklärung dieses Desasters und meiner Fehler nicht bemüht – im Gegenteil: ich habe weiter getrickst, getäuscht und getarnt. Ich habe nicht aktiv aufgeklärt, sondern immer erst, wenn ich dazu gezwungen war und mir keine andere Wahl mehr blieb. Diejenigen die aufklären wollten, wie die Opposition und den Bundesrechnungshof habe ich verächtlich gemacht und ihnen vorgeworfen eine bösartige Kampagne gegen mich zu fahren. Medien, die über meine Tricks und mein illegales Handeln sauber recherchiert hatten griff ich mit dem Vorwurf der Fake-News an und versuchte so ihre Glaubwürdigkeit zu diskreditieren.

 

Meiner politischen Verantwortung habe ich mich versucht zu entziehen, indem ich alle Ansprüche der Betreiber, die ich ihnen vertraglich fest zugesichert hatte – so auch die lukrative Entschädigung im Falle, dass der EuGH, die Maut kippen sollte – in Zweifel zog. Mir war klar, dass die Betreiber durch mein Vorgehen ihre legitimen Ansprüche nur in einem langjährigen, geheimen Schiedsverfahren gegenüber dem Bund durchsetzen würden. Doch genau darauf setzte ich, denn in fünf Jahren – und so lange dauert so ein Schiedsverfahren mindestens – bin ich sicher nicht mehr Bundesverkehrsminister. Mein Kalkül lautete: Die Rechnung über mehrere hundert Millionen Euro für die Entschädigungszahlungen der Maut-Betreiber erhält dann mein Amtsnachfolger. Um diese Strategie umzusetzen war ich bereit weiterhin Teile der Wahrheit zu verschweigen und Millionen Euro für die Anwälte des Bundes auszugeben, die dann ein solches Schiedsverfahren betreut hätten.

 

Meine Fehler und Verfehlungen habe ich bis zum heutigen Tag nicht eingestanden. Doch damit ist jetzt Schluss. Ich habe die deutsche Öffentlichkeit, den Bundestag und meine Partei- und Fraktionskollegen wissentlich getäuscht, hunderte Millionen Euro an Steuergeldern verzockt und Haushalts- wie auch Vergaberecht vorsätzlich gebrochen. Für diese Fehler und Vergehen möchte ich mich bei Ihnen, sehr geehrte Bürgerinnen und Bürger, in aller Form entschuldigen – obwohl ich weiß, dass sie durch nichts zu entschuldigen sind. Ich hatte vielfach im Pkw-Maut-Projekt die Chance anzuhalten oder umzukehren, aber ich habe meine Pläne rigoros und unter Inkaufnahme extremer Risiken für den Staat und bei unachtsamem Umgang mit den Steuergeldern der Menschen, vorangetrieben. Alle Warnungen habe ich beiseite geschoben, allen Bedenkenträgern nicht zugehört.

 

Von jedem Bürger verlangen wir, dass er sich an Recht und Gesetz hält. Das gilt in besonderem Maße für einen Bundesminister, der den Staat repräsentiert. Mit meinem Amtseid habe ich zudem öffentlich geschworen, dass ich Schaden vom deutschen Volk abwenden werde. Diesen Eid habe ich durch mein Handeln bei der Pkw-Maut mehrmals gebrochen.

 

Ich ziehe die Konsequenzen aus meinem Handeln, übernehme Verantwortung für meine Politik und trete, auch um weiteren Schaden vom deutschen Staat, von der Bundesregierung und von meiner Partei abzuwenden, mit sofortiger Wirkung vom Amt des Bundesverkehrsministers zurück.

 

 

Ihr Andi Scheuer. 

 

 

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PS: Alle genannten Darstellungen, Zusammenhänge und Schlussfolgerungen basieren auf Fakten, die auch der Bundesrechnungshof als unabhängige Prüfungsbehörde des Bundes, in seinem Prüfbericht zur Infrastrukturabgabe/Pkw-Maut eineindeutig festgestellt hat. 

 

 

Bildquelle: Heute-Show

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