Für die Verkehrswende ist die Schiene nicht bereit – ein Plädoyer für eine Industriestrategie Schiene

„Der ICE nach Hamburg muss heute leider entfallen. Grund ist ein defekter Zug.“ Wer diesen Satz – mit Hamburg, Köln oder Eisenach – in den vergangenen Jahren nicht gehört hat, der fährt nicht mit der Bahn. Sowohl das Schienennetz als auch die Züge sind an ihrer Belastungsgrenze, ebenso wie die Werkstätten und vor allem das Personal der Deutschen Bahn. Alle sind sich zwar einig: es soll mehr Güter- und Personenverkehr von der Straße auf die Schiene verlagert werden. Aber auf die Infrastrukturen der Bahn im gegenwärtigen Zustand können wir keine nennenswerten Lkw-Verkehre verlagern. Und die Zugflotte der Bahn ist nicht in der Lage doppelt so viele Fahrgäste zu transportieren. Genau das ist aber das erklärte politische Ziel, das bis zum Jahr 2030 erreicht sein soll. Wie sehr auf Kante das gesamte Bahnsystem genäht ist, konnten wir alle im letzten Jahr während der dreimonatigen 9-Euro-Ticket-Phase beobachten. Dieser kurze Zeitabschnitt hat deutlich vor Augen geführt: für die avisierte ambitionierte Verkehrswende (Verdopplung der Verkehrsleistung im Personenverkehr und Erhöhung des Güterverkehrsanteils von 18 auf 25 Prozent bis zum Ende des Jahrzehnts) ist die Bahn nicht bereit. Mit der heute vorhandenen Infrastruktur, mit den vorhandenen und bestellten Zügen und mit der Anzahl des Personals bei der Bahn ist die Verkehrswende nicht erfolgreich zu meistern. 

Um die Schiene zum starken Rückgrat der Verkehrswende zu machen, müssen wir Bahnpolitik endlich aktiv gestalten und im großen Maßstab vorantreiben, und zwar in drei zentralen Bereichen:

 

Zum einen müssen wir die Schieneninfrastruktur nicht nur schnellstens sanieren und instand setzen, sondern sie auch modernisieren, digitalisieren und vor allem massiv ausbauen. Im aktuellen Netz sind tatsächlich noch Stellwerke aus dem Jahr 1899 (kein Tippfehler) im Einsatz [1]. Der deutsche Kaiser hat sie eingeweiht und im Bahntower drücken sie jeden Morgen beide Daumen, dass die alte Technik noch irgendwie etwas durchhält. Dabei sind dies noch nicht einmal die marodesten Stellwerke: Fast alle Relaisstellwerke, die ungefähr ab 1950 verbaut wurden, haben ein Umbauverbot, da ihre Kabel spröde geworden sind. Jede sechste Brücke, jedes sechste Gleis und jede sechste Weiche haben ihre technische Nutzungsdauer bereits überschritten und müssten eigentlich umgehend ausgetauscht werden [2]. Der Sanierungsrückstau der Schieneninfrastruktur, der dadurch entstand, dass die Bundesregierungen seit 1990 systematisch zu wenig in die Schiene investiert und sie somit regelrecht kaputtgespart haben, hat sich bis 2023/24 auf rund 60 Milliarden Euro aufgetürmt [3]. Aktuell investiert der deutsche Staat etwas weniger als fünf Milliarden Euro über die sogenannte Leistungs- und Finanzierungsvereinbarung in die Instandsetzung des deutschen Schienennetzes. Bis zur Mitte des Jahrzehnts dürfte der reale Bedarf bei ungefähr 10 Milliarden Euro pro Jahr liegen – aktuell sind lediglich rund 6 Milliarden Euro zur Erhaltung des Netzes vorgesehen – also fahren wir die Schieneninfrastruktur auch zukünftig noch immer auf Verschleiß. [4] Zwischen 2021 und 2040 werden allein für die jetzt schon geplanten Schienen-Projekte insgesamt mindestens 74 Milliarden Euro an Investitionsmitteln benötigen, also im Schnitt rund 3,7 Milliarden Euro pro Jahr [5], schon ab 2026 wird der Bedarf bereits bei über 4 Milliarden Euro im Jahr liegen. 

Wie stark das Netz schon heute angespannt ist, wird beispielsweise bei Zugunfällen, wie kürzlich auf der Strecke Hannover-Berlin deutlich: über drei Wochen gab es kaum Ausweichstrecken für viele Personen- und Güterzüge; es mussten weiträumige Umfahrungen bewältigt werden. [6] Insgesamt mangelt es dem Schienennetz an Ausweichstrecken, Überholgleisen und Überleitstellen [7], kurz gesagt: an Flexibilität. Deswegen stehen Güterzüge oftmals im Stau und Personenzüge können sich im Fall von Zugschäden oder anderen Verzögerungen nicht überholen. Die Deutsche Bahn selbst listete für 2022 insgesamt 24 Streckenabschnitte mit insgesamt circa 3.500 Kilometer Länge auf, die komplett überlastet waren. [8] Bis 2030 wird die Länge der überlasteten Schienenwege auf über 9.000 Kilometer ansteigen, wenn keine Maßnahmen ergriffen werden. [9] Somit wären am Ende dieses Jahrzehnts stolze 27 Prozent aller Schienentrassen überlastet. Und da fragt sich noch jemand, wieso die Bahn nicht mehr pünktlich ist.

Aber allein die Infrastruktur wieder in Stand zu setzen und die bisher geplanten Bauprojekte umzusetzen, reicht nicht aus, um auf der Schiene die Kapazitäten herzustellen, die es für die Verkehrswende zwingend braucht. Nachdem die Bahn – getrieben von der dem Diktat der Wirtschaftlichkeit – in den vergangenen 25 Jahren rund 5.400 Kilometer vermeintlich „unrentabler“ Schienenwege und damit 16 Prozent ihres Streckennetzes stillgelegt hat, während zeitgleich die Anzahl der Züge stetig stieg (in Summe nahm der Schienengüterverkehr im gleichen Zeitraum um 83,4 Prozent zu) [10], müssen wir jetzt das Bahnnetz bis 2030 und darüber hinaus kontinuierlich ausbauen. Überholgleise haben einen hohen wirtschaftlichen Wert, wenn überholt werden muss; Ausweichstrecken retten ganze industrielle Wertschöpfungsketten und sichern die Versorgungssicherheit von Städten, wenn es zu Unfällen, technischen Ausfällen oder Angriffen auf die kritischen Schieneninfrastrukturen kommt. Wie wertvoll Ausweichstrecken sein können kann man auch ganz konkret beziffern: Der Bauunfall in Rastatt und die anschließende lange Sperrung der für den Güterverkehr besonders wichtigen Oberrheinstrecke verursachte beispielsweise einen wirtschaftlichen Schaden von rund zwei Milliarden Euro. [11]

Die Infrastruktur muss wieder die Grundlage für die Verlässlichkeit und Pünktlichkeit der Schiene werden, statt ihre Achillesferse zu bleiben. Für die verkehrspolitischen Ziele braucht es ein groß angelegtes, industrielles Ausbauprogramm – im Schulterschluss von Bund, Deutscher Bahn sowie der Bahnindustrie. Dieses muss die Sanierung des Kernnetzes bis 2030 abschließen, die europäisch bedeutsamen Güterverkehrsrouten binnen 15 Jahren bezüglich der Kapazität deutlich ausbauen (Erweiterung um mindestens 1.000 Kilometer) und parallel die Digitalisierung der Leit- und Sicherungstechnik umsetzen. On top braucht es ein großangelegtes Bahnhof-Sanierungs- und Modernisierungsprogramm, sodass alle Bahnhöfe wieder die Visitenkarten ihrer Orte werden, an denen sich Menschen sicher, vernetzt und barrierefrei bewegen und aufhalten können. Kern dieser Bemühungen muss dabei der Deutschlandtakt sein, der die politischen Ziele (Verdopplung Fahrgäste und 25 Prozent Marktanteil im Schienengüterverkehr) in einen Fahrplan übersetzt. Dieser bestimmt wiederum die notwendigen Investition in die Infrastruktur, die etappenweise umgesetzt werden. So werden Schritt für Schritt die politischen Ziele erfüllt. Politische Wunsch-Projekte ohne Einbindung in ein gesamtdeutsches integrales Taktsystem darf es nicht mehr geben. Ein Programm mit festen Ausbauzielen, Etappenzielen und Investitionspfaden gibt der Industrie Planungs- und Investitionssicherheit, sodass sie ihre Kapazitäten entsprechend aufbauen und auch über Jahre hinweg verlässlich auslasten kann. So kann zum Beispiel ein Pakt zur Elektrifizierung von Bahnstrecken geschlossen werden. Der Koalitionsvertrag sieht vor, bis 2030 75 Prozent des Schienennetzes zu elektrifizieren. Die Allianz pro Schiene hat errechnet, dass zwischen 2010 und 2020 durchschnittlich jedes Jahr rund 65 Kilometer elektrifiziert wurden. [12] Damit das 2030-Ziel noch erreicht werden kann, müssten ab jetzt rund 500 Kilometer pro Jahr elektrifiziert werden. Das ist eine Verachtfachung der aktuellen Geschwindigkeit. Das klingt unmöglich, ist es aber nicht. Die Deutsche Reichsbahn in der DDR schaffte es in den 80er Jahre auf über 300 Kilometer pro Jahr. Die Zielmarke von 500 Kilometer pro Jahr wurde von der Deutschen Bundesbahn in den 60er Jahren erreicht. Wir haben es also schon einmal geschafft und wir können es wieder schaffen. Durch eine vollständige Finanzierung im Vorhinein haben alle Beteiligte Planungssicherheit. Deutsche Bahn und Bund stellen sicher, dass für genügend Strecken die Planungen fertiggestellt werden. Gerade bei Elektrifizierungen können beschleunigte Verfahren angewendet werden. Naturschutzrechtliche Belange können direkt in die Richtlinien der Planung aufgenommen werden, wie dies beispielsweise für Vögel bereits erfolgt ist. [13] Dadurch können aufwändige naturschutzrechtliche Betrachtungen bei reinen Elektrifizierungsvorhaben reduziert werden. Lärmschutzbetrachtungen können entfallen, da die dann dort verkehrenden Fahrzeuge deutlich leiser sind als die bisherigen Dieselfahrzeuge. Die Industrie stellt wiederum sicher, in wenigen Jahre die Kapazitäten aufzubauen, um über 500 Kilometer pro Jahr elektrifizieren zu können. Die Erreichung des Elektrifizierungsziels im Koalitionsvertrag ist keine Frage des Könnens, sondern des Wollens. Und so ist es auch bei anderen Schienenausbau-Zielen.

 

Um die Ausbauziele zu erreichen ist es zwingend erforderlich die Planungs-, Genehmigungsprozesse und Bauprozesse für alle Bahn-Infrastrukturen zu halbieren. Hierfür hat die Beschleunigungskommission Schiene kürzlich konkrete Vorschläge vorgelegt [14], die eins zu eins umgesetzt werden müssen. Was bei LNG-Terminals geht, muss auch bei Schienen gehen. Der größte Beschleunigungseffekt tritt jedoch dann ein, wenn es ein fraktionsübergreifendes Commitment zu den Kapazitätszielen und zu dem Deutschlandtakt gibt. Aktuell dauert es in Deutschland viel zu lange, bis Entscheidungen bezüglich Bahnstrecken getroffen werden. Dies ist eine politische Aufgabe. Ein Blick in die Schweiz zeigt: Es wird dann schnell geplant und gebaut, wenn die Politik hinter den Infrastrukturprojekten steht und diese nicht für Wahlkampfzwecke oder für ein Zitat in der lokalen Presse angreift. In Deutschland braucht es teilweise Jahrzehnte, um sich überhaupt zu einigen, welche Infrastruktur wo gebaut werden soll. Das ist zu lange – nicht nur die Fahrgäste sind ungeduldig, auch die Klimakrise wartet nicht.

Zweitens ist es notwendig die Bestellmengen von Zügen, die die Verkehrsunternehmen sowie die für den Nahverkehr verantwortlichen Bundesländer geordert haben, deutlich zu erhöhen und neue Ausschreibungen auf den Weg zu bringen und weitere Zugflotten zu beschaffen. Bis 2030 wird sich die Zugflotte der Deutsche Bahn im Fernverkehr zwar auf 450 Züge erhöhen [15], aber das reicht bei weitem nicht aus, um die Fahrgastmengen zu transportieren, die im Erfolgsfall einer Verkehrswende bewegt werden wollen und müssen. Aktuell läuft der Schienensektor Gefahr nicht genügend Züge (bzw. Sitzplätze) zu haben, wenn die Verkehrswende im großen Stil gelingt. Dieses Szenario ist aber mit Weitblick abwendbar.

Bereits heute ist bekannt, wie viele Züge im Fernverkehr für den Deutschlandtakt mindestens benötigt werden [16]. Es ist daher notwendig, dass diese Züge jetzt zeitnah beschafft werden. Gut ist, dass die Deutsche Bahn bereits die Planung zum ICE 5 gestartet hat, der dann auch im Hochgeschwindigkeitsverkehr barrierefreie Einstiege ermöglicht. Auch im Nahverkehr kann bereits jetzt abgeschätzt werden, wie viele und welche Züge notwendig sind, um auch dort doppelt so viele Fahrgäste transportieren zu können. Wenn Bundesländer beispielsweise gemeinsam Fahrzeuge bestellen, entstehen so zum einen für Hersteller attraktive Aufträge (da die Stückzahlen hoch sind), zum anderen sinken die Kosten pro Fahrzeug. Dieses Vorgehen – zeitnahes Beschaffung und gemeinsames Ordern – sichert den Herstellern langfristige Planungssicherheit, lastet deren Produktionsstätten aus und schafft und sichert tausende Arbeitsplätze. Beim Ordern der Züge gilt es zu klotzen, nicht zu kleckern: denn ein System, das auf Kante genäht ist, ist nicht verlässlich und reduziert auch die Qualität für die Kund*innen. Ähnlich wie ein guter Chef fünf Prozent mehr Personal einstellt, als er vermeintlich braucht, da es immer zu verschiedenen Ausfällen kommt (z.B. Krankheit), muss auch die Bahnflotte der Zukunft lieber 10 Züge zu groß als 30 Züge zu klein sein. Ansonsten ist sie weder krisenresistent, noch flexibel. Denn: eine Zugflotte, die doppelt so viele Fahrgäste transportiert, wird auch intensiver beansprucht als heute. Die Werkstattkapazitäten müssen mit diesem starken Aufwuchs der Zugzahlen Schritt halten und ebenfalls deutlich ausgebaut werden – auch das lässt sich schon heute gut planen. Die tägliche Instandhaltung der Zugflotten ist eine große Herausforderung, die aber mit mehreren, auch kleineren Werkstätten bewältigt werden kann. Mit langfristiger Planung muss auch hier kein Flaschenhals bestehen bleiben.

 

Die Digitalisierung der Züge und Wagen ist eine Herkules-Aufgabe, die schnellstens bewältigt werden muss. Einerseits um die Kapazitäten der Bahn zu erhöhen, andererseits um die Effizienz des Bahntransports zu steigern. Denn: noch immer werden Güterwagen in Deutschland von Hand miteinander gekuppelt. Die Digitale automatische Kupplung (Kosten der EU-weiten Einführung: ca. 8,6 Milliarden Euro [17]) muss beschleunigt eingeführt werden – nur dann sind die 2030-Ziele für die Bahn zu schaffen. Hier ist die EU in der Verantwortung, denn die neue Digitale-Kupplung muss europaweit gleichzeitig eingeführt werden. Zudem braucht es hier auch finanzielle Unterstützung, denn viele Güterunternehmen haben keine finanziellen Kapazitäten für diese einmalige Investition. Deutschland könnte hier beispielsweise Mittel aus dem Klima- und Transformationsfonds bereitstellen, der im Verkehrsbereich aktuell zu sehr auf das E-Auto fokussiert ist. [18] Zeitgleich gilt es, die Bahn-Infrastruktur umfassend zu digitalisieren: angefangen bei digitalen Stellwerken, über 5G-Abdeckung aller Hauptkorridore bis hin zu kostenfreiem WLAN für alle Kund*innen an allen Bahnhöfen und Haltestationen der Deutschen Bahn.  

Drittens muss die Bahn ihr Personal deutlich aufstocken. Es reicht nicht, dass die Bahn ein- oder zweimal im Jahr sich selbst für neue Einstellungsoffensiven lobt und am Ende des Jahres durch die normale Fluktuation und Altersabgänge netto nur wenige hundert Menschen mehr für den Bahn-Konzern arbeiten. Allein bei der DB Netz AG, die für den Ausbau der Schieneninfrastruktur zuständig ist, gehen bis 2030 unglaubliche 86 Prozent der Belegschaft (absolut: 39.000 Personen) in den Ruhestand. [19] Aber auch im Betrieb fehlen die Leute an allen Ecken und Enden. Die Bahn musste 2022 zeitweise den Bahnbetrieb auf einzelnen Strecken einstellen, weil ihr in den Stellwerken das Fachpersonal fehlte. [20] Wenn die Politik es ernst damit meint, die Fahrgastzahlen zu verdoppeln und die Güterverkehrsmengen signifikant erhöhen zu wollen, dann braucht es auch deutlich mehr Personal – und zwar in allen Bereichen. Denn: die neuen Trassen müssen geplant, die Ausschreibungen für neue Züge begleitet, neue Züge gewartet und gefahren [21] und neue Kund*innen betreut werden. Derzeit arbeiten rund 211.000 Menschen bei der Deutschen Bahn AG in Deutschland. [22] Bis 2030 sollte die Bahn die Anzahl ihrer Beschäftigten auf rund 250.000 aufstocken. Für all diese Aufgaben muss sie es also schaffen ihr vorhandenes Personal langfristig zu halten und bis zum Ende des Jahrzehnts signifikant mehr Mitarbeiter*innen zu überzeugen für sie zu arbeiten. Hierfür muss die Bahn in jeder Hinsicht ein attraktiver Arbeitgeber sein, der seine Angestellten gut behandelt, fair bezahlt und ihnen Aufstiegschancen bietet. 


Milliarden für die Infrastruktur, Milliarden für Züge und weitere Milliarden für Personal. Der Bahnsektor wird sehr viel Geld benötigen, um einerseits den Sanierungsrückstau aufzuholen und zeitgleich in den Ausbau von Bestandstrassen, in neue Schienentrassen, in die Instandsetzung der Bahnhöfe und Haltestationen und in neue Bahnhöfe und neue Halte zu investieren, um neue Züge zu beschaffen und um sein Personal aufzustocken. Doch wer jetzt nur an die Kosten denkt, wiederholt den Fehler, der lange in der Energiewende-Diskussion gemacht wurde. Hier wurde viel zu lange nur die Perspektive der Kosten diskutiert und viel zu wenig berücksichtigt, welcher kurz-, mittel- und langfristige Nutzen sich aus diesen Investitionen ergibt. Der Bundesverband der Deutschen Industrie berechnete bereits 2018, dass verschiedene Pfade für das Ziel einer weitgehend klimaneutralen deutschen Volkswirtschaft mit einer erfolgreich umgesetzten Energiewende bis 2050 zusätzliche Investitionen von in Summe 1,5 bis 2,3 Billionen Euro erforderlich machen. [23] Aber das sind mitnichten nur „Kosten“, die von der Wirtschaft und/oder dem Staat finanziert werden müssen, sondern es sind Investitionen mit einer dreifachen Rendite: einerseits rechnen sich Investitionen in Klimaschutz-Maßnahmen direkt betriebswirtschaftlich für die Unternehmen, zum anderen tragen sie zum Schutz des Klimas, der Umwelt und der natürlichen Ressourcen bei und zum Dritten erzeugen sie auch volkswirtschaftliches Wachstum sowie hunderttausende Arbeitsplätze. Gleiches gilt für Investitionen im Rahmen einer industriellen Verkehrswende, mit einer starken Bahn als Rückgrat. Auch die Industrie außerhalb der Bahnindustrie profitiert davon, denn sie ist auf den Transport mit der Schiene mehr angewiesen denn je: der Schienentransport ist energieeffizienter und braucht weniger Personal; spart also bares Geld. Zudem sichert sie klimaneutrale Transport- und Logistikketten ab. Jeder Euro, den wir für neue Schienenwege, digitale Stellwerke, neue Eisenbahnbrücken, die Sanierung von Haltestellen, neue Züge und digitale Kupplungssysteme investieren wirft nicht nur eine direkte Rendite für die Deutsche Bahn ab, sondern verbesserte die Verlässlichkeit des Schienentransports, stabilisiert das Netz gegen Ausfälle und Angriffe, erhöht die Reisequalität und damit die Kund*innen-Zufriedenheit, schützt das Klima und schafft und sichert Arbeitsplätze in Deutschland. Wir brauchen eine Industriestrategie Schiene, die in allen drei Bereichen – Schieneninfrastruktur, Zugmaterial und Personal – nicht nur klare Zielstellungen darstellt, sondern auch Investitionsprojekte definiert, sie überjährig ausfinanziert und der Bahnindustrie, den Herstellern von Zügen und dem Bahnpersonal somit langfristige Planungs- und Investitionssicherheit gibt. So kann die Verkehrswende noch gelingen. Packen wir es an.

 

 

Christian Storch & Jonas Prade 


Bilderquellen: 

 

Titelbild und Bild 1 https://www.dbservices.de/dbservices-de/leistungsportfolio/industrie 

 

Bild 2 https://www.bahnindustrie.at/

 

Bild 3 https://www.n-tv.de/wirtschaft/Marode-Bruecken-setzen-der-Bahn-zu-article21695112.html

 

Bild 4 https://rp-online.de/nrw/staedte/krefeld/deutsche-bahn-fahrzeuginstandhaltung-in-krefeld-ruestet-sich-fuer-ice4-auftrag_aid-23624777

 

 

Inhaltliche Quellen: 

 

 

[1] https://www.handelsblatt.com/politik/deutschland/staatskonzern-bahn-stellwerke-aus-dem-kaiserreich-die-digitalisierung-der-schiene-dauert-zu-lange/27556614.html

 

[2] https://www.businessinsider.de/politik/deutschland/scheuer-faehrt-die-bahn-auf-verschleiss-ein-sechstel-aller-gleise-bruecken-und-weichen-muesste-erneuert-werden/

 

[3] https://www.tagesspiegel.de/wirtschaft/investitionsstau-der-bahn-wachst-um-drei-milliarden-euro-4694263.html

 

[4] vgl. https://www.eba.bund.de/DE/Themen/Finanzierung/LuFV/IZB/izb_node.html

 

[5] https://www.sueddeutsche.de/wirtschaft/bahn-milliarden-ausbau-1.5029830

 

[6] https://www.tagesspiegel.de/berlin/reparaturen-nach-zugunfall-beendet-bahnstrecke-zwischen-berlin-und-hannover-wieder-frei-9013090.html

 

[7] https://daserste.ndr.de/panorama/archiv/2022/Deutsche-Bahn-Schienennetz-vor-dem-Kollaps,bahnchaos134.html

 

[8] https://fahrweg.dbnetze.com/resource/blob/4816508/d0595758788002eaf1b08b6bffd018aa/Sachstand-UeLS-Strecken-data.pdf

 

[9] https://www.tagesschau.de/wirtschaft/bahn-netzausbau-wissing-101.html

 

[10] https://www.sueddeutsche.de/wirtschaft/deutsche-bahn-deutsche-bahn-hat-16-prozent-ihrer-schienen-stillgelegt-1.4268351 und https://www.allianz-pro-schiene.de/themen/infrastruktur/schienennetz/

 

[11] https://www.faz.net/aktuell/wirtschaft/rastatt-havarie-verursachte-2-milliarden-euro-schaden-15552175.html

 

[12] https://www.allianz-pro-schiene.de/presse/pressemitteilungen/elektrifizierung-der-schiene-braucht-einen-schub/

 

[13] https://www.nabu.de/tiere-und-pflanzen/voegel/gefaehrdungen/stromtod/32046.html

 

[14] https://www.allianz-pro-schiene.de/presse/pressemitteilungen/beschleunigungskommission-die-schiene-schneller-flott-machen/

 

[15] https://www.zeit.de/mobilitaet/2022-02/ice-3neo-deutsche-bahn-siemens-zuege

 

[16] https://assets.ctfassets.net/scbs508bajse/gpXH6dx8Q9qEzLg2V8Jci/3fe06b189b0c99d02d72bbab166360ec/Grobabschaetzung_Fahrzeugbedarf_Fernverkehr.pdf

 

[17] https://www.deutschebahn.com/resource/blob/7175570/165473294776a2cb088df858b52d3fd1/220119_DAK_Faktenblatt-data.pdf

 

[18] Auch die Politik kann in diesem Bereich sinnvoll unterstützen: Beispielsweise fehlt es aktuell bei Nachtzügen an neuem Wagenmaterial. Die größte Herausforderung und damit auch finanzielles Risiko für die Bahnunternehmen ist dabei die Zulassung in möglichst vielen Ländern. Deswegen hat der Bundestag 2022 beschlossen, für Nachtzüge ein Muster-Lastenheft erstellen zu lassen. Mit diesem „Bauplan“ wird den Unternehmen zugesichert, dass sie ihre Wagen europaweit zugelassen bekommen. So kann mit vergleichsweise geringem finanziellem Aufwand den Bahnunternehmen die notwendige Sicherheit gegeben werden: Die Bestellung von neuem Wagenmaterial für Nachtzüge lohnt sich.

 

[19] https://www.handelsblatt.com/unternehmen/dienstleister/schienenverkehr-die-bahn-will-investieren-doch-86-prozent-der-belegschaft-stehen-vor-der-rente/26091146.html?ticket=ST-3865290-sTAspsNLiuPthwgfJE6M-ap3; allein 2022 fehlten der DB Netz 2.500 Mitarbeiter*innen: https://www.spiegel.de/wirtschaft/unternehmen/deutsche-bahn-personalmangel-in-stellwerken-375-000-minuten-verspaetung-in-zehn-monaten-a-3ebf2afd-ad04-4012-91f7-b35b0ff3373a

 

[20] https://www.spiegel.de/wirtschaft/bahn-streicht-zuege-weil-personal-in-stellwerken-fehlt-a-27d20fbb-9919-4c42-886b-d7cf8fb6c416

 

[21] https://www.deutschebahn.com/de/konzern/konzernprofil/zahlen_fakten/mitarbeiter-6878564

 

[22] Auch Triebfahrzeugführer*innen fehlen aktuell bei allen Bahnunternehmen. Daher braucht es eine branchenweite Einstellungsoffensive. Damit diese gelingt, hat die Beschleunigungskommission eine Werbeoffensive an Schulen und Universitäten vorgeschlagen. Damit sollen mehr Menschen für die dringend gesuchten Jobs gefunden werden.

 

[23] https://bdi.eu/publikation/news/klimapfade-fuer-deutschland/

 

 

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