Bilanz des Verkehrsministers – eine Frage des Maßstabs?

Es gibt kaum eine große Tageszeitung, kaum einen Medienkanal und kaum eine politische Beobachterin, die sich in den letzten Wochen und Monaten nicht die Frage gestellt hat, wieso Andreas Scheuer noch immer Bundesminister für Verkehr und digitale Infrastruktur ist. Die Versuche eine Antwort auf diese Frage zu geben sind vielfältig, zum Teil erheiternd.

 

Doch trotz aller guten Analysen zu seiner Performance, trotz seiner Abstiegsplätze bei Beliebtheits- und Kompetenzumfragen: Andreas Scheuer ist weiterhin Bundesverkehrsminister.

 

Bayerns Ministerpräsident und CSU-Chef Söder hält weiterhin an ihm fest und gibt ihm nach jedem neuen Fehltritt Chance um Chance um sich zu beweisen. Angela Merkel scheint als Regierungschefin zu schwach oder mit zu wenig Muse ausgestattet den Koalitionsfrieden und die aktuell guten Umfragewerte der Union im Streit um einen low-performance-Minister der CSU zu gefährden. Und der SPD scheint verkehrspolitisch ohnehin alles egal zu sein – die Zusammenarbeit mit Scheuer lässt sich scheinbar nur ertragen indem man sie komplett vermeidet und ihn einfach machen lässt. Allen gemeinsam scheint der Schaden, den ein Mann für die politische Kultur und das Vertrauen der Bürgerinnen und Bürger in unsere Demokratie verursacht nicht Grund genug zu sein, seine Nachfolge vor der nächsten Bundestagswahl zu regeln.

 

Aber kann es sein, dass die meisten den falschen, nämlich den eigenen Maßstab, an die bisherige Regierungsarbeit von Andreas Scheuer anlegen? Viel bedeutender scheint der Maßstab der Regierung selbst, insbesondere die Messlatte der CSU zu sein. Die klassische Leistungsanforderung eines Ministers kann jede*r mit einem Griff zu einem Standardwerk der Politikwissenschaft nachlesen:

 

„[Ein Minister] muss die politischen Ziele der Regierung und der eigenen Partei im Zuständigkeitsbereich seines Ministeriums nicht nur anstreben, sondern in überschaubarer Zeit wenigstens teilweise erreichen, gegebenenfalls aber auch selbst durch Versuch und Irrtum lernen und dann für notwendige Zielkorrekturen in Fraktion und Partei Rückhalt stiften; ihm sollen weder von der Opposition ausbeutbare Ungeschicklichkeiten noch von den Bürgern nachvollziehbare Fehler unterlaufen.“ [1]

 

In diesem Blogpost werde ich diesen klassischen Maßstab, ergänzt um die wichtigsten Projekte, die die CSU ihrem Verkehrsminister mit auf den Weg nach Berlin gegeben hat, auf die bisherige Regierungsarbeit von Andreas Scheuer anwenden. 


1. Anforderungen der CSU an ihren Minister

Jeder der drei CSU-Minister in den letzten 11 Jahren – ja, so lange hat die CSU das Bundesministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur schon unter ihrer Kontrolle – hatte eine zentrale Aufgabe, die wichtiger als jedes Einzelprojekt und bedeutender als jedes Reformvorhaben war und ist. Diese Aufgabe hat Horst Seehofer im Herbst 2016, damals noch als CSU-Vorsitzender, während eines Parteitages sehr deutlich auf den Punkt gebracht: Den Verkehrsminister zu stellen, sagte Seehofer zu den Delegierten, „ist gleichbedeutend mit Überweisung.“ [2] Noch ehrlicher waren die ehemaligen Bundesverkehrsminister und Parteifreunde Scheuers, Alexander Dobrindt und Peter Ramsauer 2019 gegenüber dem SPIEGEL: „Bayern profitiert erheblich davon, dass es immer wieder Bundesverkehrsminister hat oder hatte. Dieses Ministerium ist schon enorm wichtig für Bayern. Es hat halt sehr viele Mittel“, so Dobrindt und Ramsauer ergänzte: „Wenn ein Bundesland es richtig macht, dann kann es unglaublich anzapfen.“ [3]

 

Und Bayern hat es im Zusammenspiel mit dem jeweiligen Bundesverkehrsminister in Berlin in den letzten Jahren in erheblichem Umfang „richtig gemacht“. Nur ein Beispiel: der Wahlkreis des CSU-Landesgruppenchefs im Bundestag, Alexander Dobrindt, setzt sich aus den bayerischen Landkreisen Garmisch-Partenkirchen und Weilheim-Schongau zusammen. Der Bund hat seit 2002 mehr als 811 Millionen Euro für Straßenbau in Dobrindts Wahlkreis ausgegeben [693 Millionen Euro für Bundestraßen; 54 Millionen Euro für Autobahnen, 65 Millionen Euro für Brücken]. Zum Vergleich: In dem niedersächsischen Landkreis Göttingen [ähnlich groß und ähnliche Merkmale wie die beiden bayerischen Landkreise zusammen] flossen im gleichen Zeitraum 553 Millionen Euro des Bundes für Straßenbau, also 258 Millionen Euro oder 32 Prozent weniger. Und noch ein Vergleich ist hierbei aufschlussreich: Während Dobrindt Minister in Berlin war verdoppelten sich die Zuweisungen des Bundes für Straßenbauprojekte in seinen Wahlkreis auf 281 Millionen Euro – im Zeitraum 2006 bis 2010 waren es nur 145 Millionen Euro. [4] Für die CSU war klar: Andreas Scheuers Aufgabe im Bund bestand darin, dass die „Überweisungen“ nach Bayern verstetigt und nach Möglichkeit erhöht werden sollten, und zwar in möglichst vielen Bereichen.

 

Eine zweite wichtige Aufgabe war die Ingangsetzung der Pkw-Maut, die die CSU im Bund mit Verkehrsminister Dobrindt und im Land mit ihrem Generalsekretär Andreas Scheuer als Wahlkampfschlager der bayerischen Landtagswahl und im Bundestagswahlkampf 2013 energisch vorangetrieben hatte. Die Erledigung dieser Aufgabe war für die CSU von außerordentlicher Wichtigkeit, denn es galt gegenüber den bayerischen Wählern endlich zu liefern. Unter Minister Dobrindt gab es erhebliche Verzögerungen bei der Pkw-Maut. In dieser Legislaturperiode musste die „Ausländer-Maut“, wie sie die CSU von Anfang genannt hatte, an den Start. Ein rechtliches und/oder grundsätzliches Scheitern dieses Projektes schien allen Beteiligten nach einer grundsätzlichen politischen Einigung mit der EU-Kommission unmöglich. Wichtig war daher die schnelle Umsetzung; erste Erfolgsmeldungen mussten unbedingt vor der bayerischen Kommunalwahl im März 2020 produziert werden.

 

Für die CSU hat das Verkehrsressort im Bund auch deshalb so große Bedeutung, weil hier viele kostspielige Straßenbauprojekte realisiert werden können, mit denen die CSU-Abgeordneten in ihren Wahlkreisen glänzen können. „Wer Straßen baut wird wiedergewählt“ lautet die schlichte und in Anbetracht der vergangenen Jahre aus Sicht der CSU durchaus zutreffende Logik. Um die Menge an Straßen, die innerhalb kurzer Zeit mit den im Bundesverkehrsministerium vorhandenen Mitteln gebaut werden können zu erhöhen war die Umsetzung der Reform der Auftragsverwaltung des Straßenbaus von immenser Bedeutung für die CSU. Hinter diesem kryptischen Verwaltungsausdruck verbirgt sich eine der größten Verwaltungsreformen der letzten Jahrzehnte: alle Bundesländer sollen ihre Verwaltungen (inklusive der ca. 13.000 Mitarbeiter*innen) zum Bau von Bundesstraßen und Bundesautobahnen an den Bund übertragen; dort werden sie in der Autobahn GmbH des Bundes zentralisiert. Der Bund baut dann ab 2021 diese Infrastrukturen zentral. Die Effizienzen, die hier in zeitlicher und finanzieller Hinsicht theoretisch gehoben werden können, ermöglichen es dem BMVI theoretisch in kürzeren Zeiträumen noch mehr Straßen zu bauen. Dafür mussten die Reform und der Aufbau der Autobahn GmbH aber ein voller Erfolg werden. Die Herausforderung bei dieser Mega-Reform besteht vor allem im reibungslosen Übergang aller Beschäftigten, der 14.000 IT-Systeme und der Integration der DEGES (Deutsche Einheit Fernstraßenplanungs- und -bau GmbH, der bisherigen Planungs- und Baubehörde vieler Bundesländer) in die neue Autobahn GmbH. Bei ernsthaften Schwierigkeiten kann es zu längeren Verzögerungen bei Planung und Bau von Straßen in der ganzen Republik kommen.

 

 

Mit diesen drei zentralen CSU-Aufgaben wurde Andreas Scheuer im März 2018 nach Berlin in die Invalidenstraße entsandt. Alle anderen Themen haben für die CSU nur eine untergeordnete Bedeutung. Bei den Themen der Verkehrsträger Schiene, Flugzeug, Schiff und Rad sollte nach Möglichkeit der status quo gehalten werden. Der Bundesverkehrsminister war aber, das war der CSU von Anfang an klar, durch eine gute Finanzlage seines Ressorts in einer Position, in der er für die Dauer seiner Amtszeit tun kann, was ich gerne als „Glitzer draufstreuen“ bezeichne. Durch die kosmetische Förderung verschiedener Verkehrsträger konnte er eine progressivere Haltung in der Verkehrspolitik simulieren, als sie die CSU tatsächlich zu vertreten bereit war. Hierdurch sollten Gruppen, die der CSU-Verkehrspolitik bislang kritisch gegenüberstanden zu Verbündeten gemacht, die Öffentlichkeit beeindruckt und die Kritik der Opposition an einer Fortsetzung des bisherigen CSU-Verkehrspolitik der Wind aus den Segeln genommen werden.  

 

2. Leistungsbilanz von Andreas Scheuer in den drei CSU-Kernprojekten

Andreas Scheuer hat bei den „Überweisungen“ von Bundesmitteln seines Hauses nach Bayern nicht nur für eine Verstetigung gesorgt, sondern durch einen Griff in die Trickkiste sogar eine erhebliche Erhöhung herausgeschlagen. Am 08.03.2020, kurz vor der bayerischen Kommunalwahl, verkündete er im Münchner Merkur: er habe entschieden, dass der Bund am Standort München 500 Millionen Euro in ein „Deutsches Zentrum Mobilität der Zukunft“ investieren werde. [5] Inzwischen steht fest: es gibt kein konsolidiertes Konzept für das Forschungszentrum; Scheuer machte die Finanzzusage, obwohl im Bundeshaushalt nicht ein Cent für das Projekt zur Verfügung stand; er sprach sich bei der Standortauswahl für München nicht mit der Forschungsministerin ab; er führte kein ergebnisoffenes Vergabe- und Standortverfahren für das Forschungszentrum nach objektiven Kriterien durch. [6] Zum Vergleich: bei der Förderung von Radverkehrsprofessuren im Umgang von 8,3 Millionen Euro führte das BMVI 2019 und 2020 ein mehrstufiges Verfahren durch, bei dem von 33 Hochschulen und Universitäten, die sich um die Förderung beworben hatten, schlussendlich nur die sieben mit den besten inhaltlichen Konzepten gefördert wurden [7]. Aus CSU-Sicht kann man dennoch sagen, dass Scheuer in diesem Punkt exzellent geliefert, denn Bayern wird nicht nur das Forschungszentrum in München erhalten, sondern darüber hinaus auch noch weitere Außenstandorte. Auch ansonsten gibt es keine Anhaltspunkte dafür, dass Scheuer seine Kernaufgabe Gelder des Bundes in den Freistaat zu lenken nicht erledigen würde. Kaum eine Woche des Jahres, in der Andreas Scheuer keinen Spatenstichtermin in Bayern hat: von 63 wichtigen Straßenverkehrsprojekten ließ sich Andres Scheuer 2019 nur einen einzigen Spatenstich entgehen [8]. Und das sind die wirklich wichtigen Termine mit CSU-Bürgermeistern, mit CSU-Wahlkreisabgeordneten oder zusammen mit dem CSU-Vorsitzenden. Bayern- und Straßenbauminister Scheuer hat aus CSU-Sicht bisher überzeugend geliefert.

 

Ganz anders sieht seine Bilanz beim wichtigsten CSU-Projekt seit 2013 aus. Die Pkw-Maut wurde im Juni 2019 abrupt vom Europäischen Gerichtshof gestoppt. Das höchste europäische Gericht attestierte der Maut-Konzeption der CSU eine Unvereinbarkeit mit europäischem Recht, da sie so wie sie angelegt war ausländische Bürger*innen diskriminiere. Weil er die Pkw-Maut unbedingt so schnell wie möglich realisieren wollte hatte Scheuer im Oktober und Dezember 2018 bereits Maut-Verträge mit privaten Firmen über zwei Milliarden Euro unterzeichnet und sieht sich daher bis heute mit Schadensersatzforderungen zwischen 560 und 760 Millionen Euro konfrontiert. Bis heute hat den Bund und damit alle Steuerzahler*innen die Vorbereitung der Pkw-Maut über 80 Millionen Euro gekostet.

 

Minister Scheuer machte nach dem EuGH-Urteil politisch, kommunikativ und auch inhaltlich so ziemlich alles falsch, was man in dieser Krise falsch machen konnte.

 

Politisch, weil er das wichtigste CSU-Projekt am Tag nach dem Urteil beerdigte und nicht einmal versuchte eine Pkw-Maut+ daraus zu machen. Tatsächlich hatte der EuGH Deutschland sehr wohl erlaubt eine Pkw-Maut einzuführen, aber eben eine, die ausländische Unionsbürger*innen nicht diskriminiert und eine, die eine ökologische Lenkungswirkung hat, die über homöopathische Dosen hinausreicht. Scheuer hätte statt einer übereilten Kündigung der Mautverträge auch die Möglichkeit gehabt die Maut neu auszurichten und mit den Firmen eine Anpassung der Verträge auszuhandeln. Im Zuge des Klimakabinetts fragte er im Herbst 2019 bei seinem ehemaligen Staatssekretär sogar selbst noch einmal nach genau dieser Option nach. Dieser wies ihn jedoch darauf hin, dass er ja mit schweren Vorwürfen gegenüber den Betreibern die Verträge gekündigt habe und diese vorgeschobene Argumentation gänzlich in sich zusammenfalle, wenn man im Herbst 2019 wieder auf sie zuginge und sie bitte eine veränderte Maut doch noch umzusetzen. Das hätte die Position des Bundes im Schiedsgerichtsverfahren, das die Schadensersatzhöhe aushandelt, massiv geschwächt [9].

 

Kommunikativ versagte Scheuer, weil er bei einer Rede im Deutschen Bundestag volle Transparenz bei der Aufklärung des Maut-Desasters versprach, dieses Versprechen nie eingehalten hat und es auch nie einhalten wollte. Die Inszenierung des Aufklärers seiner eigenen Katastrophe nahm ihm von Anfang an niemand ab. Er fuhr bewusst eine Salami-Taktik und rückte Dokumente und Akten immer nur dann heraus, wenn die Opposition oder investigative Journalisten konstanten Druck ausübten. So ist er bis heute Getriebener und kein Aufklärer.

 

Inhaltlich, weil der unabhängige Bundesrechnungshof bereits Ende 2019 festgestellte (!), dass Andreas Scheuer im Projekt Pkw-Maut bewusst Haushalts- und Vergaberecht gebrochen hatte [10]. Diese Feststellung haben die Gutachter*innen des BRH vor dem Untersuchungsausschuss zur Pkw-Maut nachdrücklich bekräftigt. [11] Zugleich begleiten derart viele versierte Journalisten und Beobachter den Untersuchungsausschuss, dass die üblichen medialen Dynamiken zu solchen Sondergremien nicht wirken. Die Feststellungen des BRH wirken zudem vertiefend und beschleunigend für die Aufklärungsarbeit des Ausschusses, denn mit all jenen Sachverhalten, die bereits durch die unabhängigen Experten festgestellt wurden, braucht man sich nicht lange aufhalten. Hier kann man in die Tiefe gehen und an Details arbeiten. Regelmäßig berichten Leitmedien über neue Details des Maut-Desasters, regelmäßig gelingt es der CSU nicht die Vorwürfe inhaltlich zu entkräften. Die Pkw-Maut setzte Andreas Scheuer mit derartiger Wucht gegen die Wand, dass selbst Markus Söder Anfang des Jahres öffentlich schon von einer Kabinettsumbildung redete.  

 

Gemischter sieht Scheuers Leistungsbilanz bei der Reform der Straßenbauverwaltung und beim Aufbau der Autobahn GmbH aus. Die Reform kostet insgesamt 560 Millionen Euro. Doch bislang ist hier erheblich Sand im Getriebe. Der Übergang von Tausenden Mitarbeiter*innen gestaltet sich schwierig, denn die Bundesländern versuchen mit allen Mitteln die besten Beschäftigten zu halten. Auch bei der Integration von über 14.000 IT-Systemen in 16 Bundesländern ist nicht absehbar, wann der Prozess abgeschlossen sein wird. Die Gewaltigkeit des Reformvorhabens hat Scheuer von Anfang an unterschätzt. Daher holte er sich für über 24 Millionen Euro Berater*innen ins Boot, die die Reform beschleunigen sollten. Aktuell schätzt Scheuer, dass er bis zum Ende der Reform 130 Millionen Euro für Berater ausgeben wird. [12] Doch noch so viele Berater*innen können politische Aushandlungsprozesse mit den Bundesländern und den Gewerkschaften nicht ersetzen. Hinter den Kulissen ist bereits klar, dass der Zeitplan der Reform nicht zu halten ist. „Bis 2025+“ soll es laut internen Unterlagen „pragmatische Zwischenlösungen“ wie „Kooperation mit Ländern und Dienstleistungsverträge“ geben. Demnach würde an viele Gebäude der Länderverwaltungen einfach das Schild ausgetauscht. Die Länder würden dann mindestens bis 2025 weiterhin für den Bund Planung und Bau von Bundesstraßen und Autobahnen managen. [13] Dieser Etikettenschwindel wäre aber keine 560 Millionen Euro wert, denn im Kern bliebe dann alles beim Alten.

 

Zu diesen organisatorischen Problemen kommen rechtliche Schwierigkeiten bei der Integration der DEGES, der bisherigen Planungs- und Baubehörde von 12 Bundesländern, in die Autobahn GmbH hinzu. Eigentlich wollte der Bund die Anteile der Bundesländer an der DEGES schon zum 01.01.2020 erwerben. Doch offenbar gibt es hier erhebliche rechtliche Probleme. Ende Juni machte der Bundesrechnungshof deutlich, dass die geplante Verschmelzung „mit erheblichen verfassungsrechtlichen Risiken behaftet [ist]“. Die Prüfer sehen im Vorgehen des Bundes „einfachgesetzliche sowie vergaberechtliche Verstöße“ und empfehlen daher dem Bundestag die bereits eingeplanten Haushaltsmittel für die Übernahme der DEGES nicht freizugegeben. Das Problem ist größer als es Scheuer wahrhaben will, denn unter Umständen müssten alle Aufträge, die die Länder an die DEGES vergeben haben, neu ausgeschrieben werden – und das sind mehrere Milliarden Euro. Die erneute Ausschreibung von bereits vergebenen Planungs- und Bauleistungen würde zu erheblichen Verzögerungen bei allen betroffenen Straßenbauprojekten führen. Tut der Bund das aber nicht, dann drohen möglicherweise Schadensersatzforderungen von Bauunternehmen, die sich im Wettbewerb strukturell benachteiligt sehen. [14] Verzögert sich durch die Autobahn-Reform flächendeckend der Straßenbau wäre das für die CSU eine Katastrophe. Bei diesem Projekt ist trotz aller Schwierigkeiten die Messe noch nicht gesungen. Scheuer kann es noch schaffen die Reform – zumindest formal – erfolgreich umzusetzen. Die CSU wird Scheuers Performance bei dieser wichtigen Aufgabe erst ab 2021 bewerten können.

  

Im „Glitzer draufstreuen“ ist Andreas Scheuer ein wahrer Meister. Flugtaxis, Radverkehrsprofessuren, neue ICEs, neue LNG-Schiffe … es gibt kaum ein Thema, bei dem Scheuer nicht wüsste, wie man da mit ein paar Millionen Euro die Herzen der Interessengruppen höherschlagen lassen kann und zugleich der Opposition den Wind aus den Segeln nimmt. Geht es nur um einzelne Projekte, dann läuft das ziemlich gut. Aber bei größeren Streitfragen wie der Reform des Taxiwesens oder den Veränderungen der Straßenverkehrsordnung müsste sich Scheuer deutlicher entscheiden auf welcher Seite er steht. Hier gibt es so klare Konfliktlinien, dass er es sich als Bundesminister eigentlich nicht leisten kann jedem alles zu versprechen und am Ende davon die Hälfte wieder zu kassieren – je nachdem, wie gerade der politische Wind weht. Sowohl bei der Taxi-Reform als auch bei der Reform der Straßenverkehrsordnung ist Scheuer mit dieser Strategie in die Sackgasse gefahren. Sogar Markus Söder stufte das Agieren Scheuers bei der StVO-Reform als sehr ungeschickt ein. Bis auf diese Fauxpas bearbeitet Scheuer die Kategorie „Glitzer draufstreuen“ aus CSU-Perspektive aber solide. 

 

3. Fazit

Scheuer bearbeitet eine von drei wichtigen Aufgaben, die ihm die CSU mit auf den Weg nach Berlin gegeben hat, solide und erfolgreich. Bei der Autobahn-Reform ist noch einiges möglich, es sieht aber nicht nach einem großen Erfolg aus. Bei der Pkw-Maut hat er hingegen auch aus CSU-Sicht komplett versagt. Und zwar in einem Ausmaß, dass alle anderen Themen in den Hintergrund rücken lässt. Spätestens, als der unabhängige Bundesrechnungshof im November 2019 feststellte, dass er Vergabe- und Haushaltsrecht gebrochen hat, hätte er, auch um Schaden von der CSU abzuwenden, sein Amt niederlegen müssen. Sein energisches Festklammern am Ministerstuhl kommt die CSU seitdem bundespolitisch Tag für Tag teuer zu stehen.

 

Unabhängig davon: eine seiner großen Schwächen ist und bleibt, dass er seinen Kurs kaum korrigiert und nicht bereit ist durch Versuch und Irrtum zu lernen. Wesentliche notwendige Zielkorrekturen, insbesondere im Bereich des Klimaschutzes, bei einer zweiten Bahnreform oder einer Neuordnung der Finanzströme in seinem Ressort, hat er nie ernsthaft erwogen. Vielmehr simuliert er sie und kann das aufgrund eines gut ausgestatteten Haushalts in seinem Ressort auch tun. In seiner bisherigen Amtszeit sind ihm regelmäßig von der Opposition ausbeutbare Ungeschicklichkeiten, klar erkennbare Fehler und sogar Gesetzesverstöße unterlaufen, die aufgrund seiner zu offensiven Kommunikation, schlechter Krisenkommunikation, solider Oppositionsarbeit und gut aufgestellter Journalist*innen auch von allen Bürger*innen gut nachvollziehbar waren.

  

Mit dem Maßstab der CSU fällt die bisherige Bilanz von Scheuer als Verkehrsminister milder als beim Anlegen der Messlatte der Verkehrswende-Bubble aus. Dennoch ist sie für einen CSU-Minister in kaum einer Hinsicht ausreichend. Die CSU hätte sich Anfang des Jahres einen großen Gefallen getan, hätte sie Scheuer aus Berlin abberufen. Doch nun, ein Jahr vor der Bundestagswahl, scheint der Zug für eine Kabinettsumbildung endgültig abgefahren zu sein. 


Quellen: 

 [1] (Patzelt, Werner J., 2007: Einführung in die Politikwissenschaft. Grundriß des Faches und studienbegleitende Orientierung, Passau, 6. Auflage, S. 381)

 [2] vgl. https://www.faz.net/aktuell/politik/inland/seehofer-gibt-den-sanftmuetigen-auf-dem-csu-parteitag-14513130.html [zuletzt abgerufen am 06.08.2020]

[3] vgl. https://www.spiegel.de/politik/andreas-scheuer-was-der-bundesverkehrsminister-anfasst-geht-schief-a-00000000-0002-0001-0000-000164871535 [zuletzt abgerufen am 06.08.2020]

[4] vgl. https://www.rnd.de/politik/vorwurfe-gegen-dobrindt-strassenbaumittel-fur-wahlkreis-verdoppelt-FLC5IXPPN5EOJACV5NL5UN2MGE.html [zuletzt abgerufen am 06.08.2020]

[5] vgl. https://www.merkur.de/politik/muenchen-scheuer-csu-zukunftsfabrik-mobilitaet-interview-investition-zukunftsfabrik-13584256.html [zuletzt abgerufen am 06.08.2020]

[6] vgl. https://taz.de/Vorwuerfe-gegen-Verkehrsminister-Scheuer/!5689722/ [zuletzt abgerufen am 06.08.2020]

[7] vgl. https://www.bmvi.de/SharedDocs/DE/Pressemitteilungen/2020/005-scheuer-wir-staerken-radfahrern-den-ruecken.html [zuletzt abgerufen am 06.08.2020]

[8] vgl. https://www.sueddeutsche.de/politik/verkehrsministerium-scheuer-bahn-strassen-1.4836247  [zuletzt abgerufen am 06.08.2020]

[9] vgl. https://www.handelsblatt.com/politik/deutschland/untersuchungsausschuss-interne-e-mails-belegen-verkehrsminister-scheuer-plante-eine-umwelt-maut/25972678.html?ticket=ST-994716-JkLiEPZZneLy2fKP5mlr-ap3 [zuletzt abgerufen am 06.08.2020]

[10] vgl. https://www.tagesschau.de/inland/pkwmaut-rechnungshof-101.html [zuletzt abgerufen am 06.08.2020]

[11] vgl. https://www.spiegel.de/politik/deutschland/bundesrechnungshof-zur-maut-kontrolleure-bekraeftigen-vorwuerfe-gegen-andreas-scheuer-a-76b8f9ba-826e-4772-b0f8-c83728338a6f [zuletzt abgerufen am 06.08.2020]

[12] vgl. https://www.welt.de/wirtschaft/article211560573/Autobahn-Selbst-Scheuer-haelt-Kosten-fuer-Berater-fuer-zu-hoch.html [zuletzt abgerufen am 07.08.2020] 

[13] vgl. https://www.handelsblatt.com/politik/deutschland/autobahnverwaltung-warum-die-560-millionen-euro-teure-autobahn-gmbh-bislang-so-erfolglos-ist/24529016.html [zuletzt abgerufen am 07.08.2020]

[14] vgl. https://www.sueddeutsche.de/politik/scheuer-verkehrsminister-bundesrechnungshof-autobahn-reform-1.4948848 [zuletzt abgerufen am 07.08.2020] 

Bildquelle für das Titelbild:  https://www.boyens-medien.de/artikel/schleswig-holstein/andreas-scheuer-nimmt-wasserstoffproduktion-in-betrieb-342871.html , Foto: Carsten Rehder/dpa


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