Kohleausstieg - und jetzt? Wie die Energiewende in Sachsen gelingen kann.


Spätestens 2038 ist Schluss. Dann wird auch das letzte Braunkohlekraftwerk in Sachsen vom Netz gehen. So hat es die Kohlekommission beschlossen und dazu stehen alle Beteiligten. Doch der Weg dahin ist bisher noch unklar. Wie der Pfad des schrittweisen Kohleausstiegs gestaltet werden kann, sodass er nicht nur keine Strukturbrüche verursacht, sondern sich auch die Potenziale des Wandels nutzen lassen, das ist noch immer völlig offen. Diese Offenheit in Bezug auf die Zukunft ist angesichts der anstehenden Herausforderungen eigentlich ein Nachteil, denn: der Strukturwandel vollzieht sich schon längst und hätte auch schon seit Jahren mit klaren Zielstellungen und entsprechenden Rahmensetzungen gestaltet werden sollen. Dies ist in Sachsen jedoch nahezu vollständig unterblieben. Von ambitionierter Energiewende fehlt im Freistaat bisher nahezu jede Spur. Während in Brandenburg schon 2016 73,2 Prozent des erzeugten Stroms aus erneuerbaren Energiequellen stammte, kommt der Strom in Sachsen heute noch immer zu 75 Prozent aus Braunkohlekraftwerken.

Der Freistaat Sachsen hat trotz der bisherigen Energiepolitik die Chance innerhalb von zehn bis fünfzehn Jahren vom Braunkohleland zum Energiewendeland zu werden. Dabei kann Sachsen die Beschlüsse der Kohlekommission nutzen (und auch den zusätzlichen finanziellen Gestaltungsspielraum) und sich nicht nur zu einem Produzenten erneuerbarer Energien aufschwingen, sondern in den ehemaligen Kohlerevieren Industrien ansiedeln, die erneuerbaren Strom nutzen und zu neuen Produkten veredeln. Länder wie Schleswig-Holstein machen seit Jahren vor, was der Freistaat nun mit hoher Geschwindigkeit und den Vorteilen eines Nachzüglers nachholen kann: die Nutzung von erneuerbaren Energien als Ausgangsbasis für eine völlig neue Wertschöpfung, die im Land bleibt und vor Ort viele Arbeitsplätze schafft. 


Um diese Chance zu nutzen und dieses Potenzial zu heben braucht es in den kommenden Monaten sieben energiepolitische Weichenstellungen: 

 

1. Vereinbarungen über die schrittweise Abschaltung der Kohlekraftwerke im Freistaat bis 2030. 

Die Staatsregierung sollte in Zusammenarbeit mit der Bundesregierung mit allen Kraftwerksbetreibern Gespräche aufnehmen und die Konditionen der schrittweisen Abschaltung der Kohlekraftwerke in Sachsen aushandeln. Zwar wäre bei einigen Kraftwerken wohl auch die entschädigungslose Abschaltung möglich, jedoch hat sich die Kohlekommission nicht auf dieses Vorgehen geeinigt und es birgt zudem einige juristische Risiken. Ein konsensuales Vorgehen mit den Betreibern garantiert Planungssicherheit für alle Beteiligten. Darüber hinaus sollte die Staatsregierung die Chance nutzen und die Konzerne auf die langfristige Beteiligung an den Renaturierungs- und Ewigkeitskosten verpflichten.

Eine mögliche Lösung für die schrittweise Abschaltung könnte die Vereinbarung eines  Restemmissionsbudgets für alle Braunkohlekraftwerke in Sachsen sein, das bis 2030 verbraucht werden kann. Die Branche könnte dann selbst entscheiden, wie sie das Restemmissionsbudget auf die vorhandenen Kraftwerke verteilt. Es gäbe einen Anreiz zuerst die emissionsintensivsten Kraftwerke stillzulegen. 

Entsprechende Einigungen wird es nicht umsonst geben. Aber sie sind die Grundlage dafür, dass der Kohleausstieg nicht auf einen Schlag im Jahr 2035 oder 2038 stattfindet und wieder Strukturbrüche erzeugt, sondern sich die Energiewende in Sachsen im nächsten Jahrzehnt gezielt entwickeln kann. 

Alternativ zum Restemissionsvorschlag kann die Bundesregierung auch einen CO2-Preis von mindestens 50 Euro je Tonne CO2-Äquivalent einführen. Dann steigen die Kohlekraftwerksbetreiber aus ökonomischen Gründen ca. 2030 ebenfalls aus dem Stromgeschäft aus. Eine dritte Alternative besteht in der Anpassung der bergrechtlichen Genehmigungen für die vorhandenen Braunkohletagebaue.

 

2. Sonderausschreibungen für erneuerbare Energien-Anlagen in der Lausitz

Die Staatsregierung sollte bei der Bundesregierung darauf drängen, dass die Lausitz zu einer Sonderzone für Ausschreibungen von erneuerbaren Energie gemacht wird. Jährlich sollten hier Ausschreibungen für Windenergieanlagen von 200 MW (insgesamt 2 GW bis 2030) und für Solarkraftanlagen von 100 MW (insgesamt 1 GW bis 2030) für die Dauer von 10 Jahren stattfinden. Ggf. sollte die Staatsregierung einen Teil der Strukturhilfen, die durch die Kohlekommission ausgehandelt und teilweise bereits durch die Bundesregierung zugesagt wurden, verwenden, um diese Ausschreibungen finanziell zu unterstützen oder insbesondere Bürgerenergiegenossenschaften dabei zu fördern die Ausschreibungen zu gewinnen und die Projekte zeitnah zu realisieren. Dadurch - und mit entsprechend ambitionierten Ausbauzielen, die sich auch in der Landesplanung und damit in der Ausweisung von entsprechenden Flächen widerspiegeln - kann der Anteil erneuerbaren Stroms in der Lausitz gezielt erhöht werden, sodass die nach dem schrittweisen Braunkohleausstieg  steigende Nachfrage nach EE-Strom mit Energie aus der Region und ohne Stromimporte gedeckt werden kann. Zugleich wird somit ein Anreiz für Investitionen in die Lausitz gegeben und Firmen, die EE-Strom als Ausgangsbasis für ihre Wertschöpfung nutzen wollen, können sich in der "Energieregion Lausitz" ansiedeln. Der intensive Zubau von EE-Anlagen in der Lausitz wird Arbeitsplätze in der Region schaffen und halten und somit auch einem Teil der ehemaligen Kohlekumpel eine neue Perspektive bieten. 

 

3. Repoweringsprogramme für vorhandene erneuerbare Windenergie-Anlagen

Im Jahr 2021 stehen von den aktuell 921 Windenergieanlagen in Sachsen 356 vor dem möglichen Aus − bis zum Jahr 2031 sogar 730. Bereits bis einschließlich 2025 sind zwei Drittel der heutigen Altanlagen betroffen. Gehen alle diese Anlagen vom Netz, dann wären alle bisher erreichten Erfolge der Energiewende in Sachsen dahin. 2021 laufen für die ersten Windräder in Sachsen die garantierten Einspeisevergütungen aus dem Erneuerbare-Energien-Gesetz (EEG) aus. Das Problem: Zwar sind die Anlagen nicht so leistungsfähig wie moderne Windräder, aber viele der Standorte befinden sich außerhalb der Vorranggebiete und wären, wenn die Anlangen einmal abgebaut sind, nicht mehr ersetzbar.

Mit einer Lösung können hier zwei Fliegen mit einer Klappe geschlagen werden: Staats- und Bundesregierung sollten Repoweringsprogramme für Windkraftanlagen auflegen und die Betreiber dabei unterstützen ihre alten Anlagen am Standort nach- und aufzurüsten. Somit bleiben die Standorte erhalten und die installierte Leistung kann auch ohne neue Genehmigungsverfahren erhöht werden. Auch die Reporweringmaßnahmen werden in Sachsen neue Arbeitsplätze in der Energiewirtschaft schaffen. 


4. Planungsbeschleunigung für erneuerbare Energien-Anlagen und für Gaskraftwerke - aber mit klaren Auflagen

Die Genehmigungs- und Planungsprozesse von Energieanlagen in Deutschland, wie auch im Freistaat Sachsen, dauern zu lange. Selbst wenn Ausschreibungen gewonnen wurden und Investoren bereit sind viele Millionen Euro zu investieren, braucht es noch immer Jahre, bis der Bau von Windkraftanlagen oder neuen Kraftwerken beginnen kann. Sachsen sollte seine Planungskapazitäten gezielt erhöhen, also mehr Planer*innen einstellen und die Planungsprozesse schnellstens digitalisieren. Außerdem sollte es in den Braunkohlefolgelandschaften erleichtert werden erneuerbare Energien-Anlagen zu errichten. Aus allen Löchern Seen zu machen ist auch keine Lösung. In ihnen oder in ihrer unmittelbaren Umgebung Wind- und Solarkraftanlagen zu errichten kann die Standortfragen für den EE-Zubau in Sachsen ggf. entschärfen. 

 

Der Freistaat wird im Zuge eines schrittweisen Kohleausstiegs die Kombination von sehr viel mehr Erneuerbaren Energien und auch einige Gaskraftwerke benötigen um die Versorgungssicherheit zu gewährleisten und die Preise stabil zu halten. Eine 100-%-erneuerbare Energiewelt wird es in Sachsen auch 2030 (und 2040) nicht geben. Aber der Weg dahin führt über erneuerbare Energien und erneuerbare Gase.

Gaskraftwerke emittieren weniger CO2 als Braunkohlekraftwerke und können auch bei wenig Sonne und wenig Wind (insbesondere in der sogenannten "Dunkelflaute") die gesicherte Leistung erbringen, sodass Industrie und Verbraucher in Sachsen mit Strom versorgt werden können. Die Gaskraft ist aber noch aus einem anderen Grund ein guter Partner für die erneuerbaren Energien und ein Bestandteil der Energiewelt der Zukunft. Gaskraftwerke können auch mit erneuerbarem Gas betrieben werden, also zum Beispiel mit Methan, das mittels power-to-gas-Anlagen aus Windenergie gewonnen wurde (zuerst entsteht Wasserstoff, dieser wird dann mit CO2 methanisiert). Über power-to-gas-Anlagen kann also (überschüssiger) Strom in erneuerbare Gase umgewandelt und gespeichert werden. Ist der Strompreis aufgrund eines hohen Stromangebotes und ausgelasteten Netzen niedrig, dann kann so Wasserstoff erzeugt werden, der dann in der Industrie oder im Verkehr eingesetzt werden kann. Beispiele von Wasserstoffbussen in Schleswig-Holstein zeigen bereits heute, wie das geht. Oder aber man mischt ihn zu einem späteren Zeitpunkt dem in Gaskraftwerken genutzten Erdgas bei. So lässt sich über erneuerbare Gase also auch in der Industrie und im Verkehr CO2 einsparen. An der Schnittstelle zwischen den Sektoren können sich auch neue Wertschöpfungsketten und Geschäftsmodelle etablieren.

Die Staatsregierung sollte die Genehmigungsprozesse für neue Gaskraftwerke in Sachsen daher beschleunigen. Gleichzeitig sollte sie bei der Genehmigung neuer Gaskraftwerke den Betreibern aber die Auflage machen ab 2023 mindestens 5 Prozent erneuerbare Gase zu nutzen und diese Quote bis 2030 kontinuierlich auf 10 Prozent zu steigern. Die neuen Gaskraftwerke Sachsen würden somit zu einem großen Nachfrager von erneuerbaren Gasen.

 

5. Verpflichtung zur Beimischung erneuerbarer Gase. Damit sich die beschriebenen Potenziale der Gaskraft auch wirklich realisieren und nicht nur einfach Braunkohle- durch Gaskraftwerke ersetzt werden, sollte die Bundesregierung alle Gasnetzbetreiber Deutschlands dazu verpflichten bis 2023 mindestens 5 Prozent erneuerbar erzeugten Wasserstoff dem Gasgemisch beizumischen. Ab 01.01.2025 müssen mindestens sieben Prozent beigemischt werden und ab 01.01.2030 müssen 10 Prozent des Gases im Gasnetz aus erneuerbaren Energiequellen hergestellt worden sein. Diese Maßnahme würde - in Kombination mit 4. - zu einem immensen "Run" auf erneuerbare Gase führen, sodass es sich für Betreiber von Erneuerbaren Energien-Anlagen lohnen würde, nicht nur ihren Strom zu verkaufen, sondern auch in Power-to-gas-Anlagen zu investieren. Somit könnten sie - insbesondere wenn die 20-jährige EEG-Vergütung ausläuft - ihre bisher einseitige Produktpalette (Strom) um ein neues Produkt erweitern (EE-Gase) und gewinnbringend am Markt anbieten. Sachsen würde also nicht nur zum Erzeugerland sauberen Stroms werden, der dann in die industriellen Zentren in Süddeutschland weitergeleitet wird, sondern hätte das Potenzial die Wertschöpfung im Land zu halten. 

 

6. Anpassung des regulativen Rahmens für die Stromumwandlung

Die beschriebene Form von Sektorenkopplung muss möglich sein. Daher sollte die Staatsregierung die Bundesregierung dazu drängen - zumindest in den Kohleregionen - die Verpflichtung zur Zahlung der EEG-Umlage für erneuerbar erzeugten Strom, der in Wasserstoff (und folgend in Methan) umgewandelt wird, abzuschaffen. Das größte Wasserstoffnetz Europas liegt in der Region zwischen Sachsen, Sachsen-Anhalt und Nord-Thüringen. Hier bieten sich für die Einspeisung von Wasserstoff immense Potenziale - insbesondere für die CO2-Einsparung in der Industrie. Denn gerade hier können nicht alle chemischen Prozesse durch die Direktnutzung von elektrischem Strom ersetzt werden.

Damit es sich für Betreiber erneuerbarer Energien-Anlagen lohnt ihren Strom - insbesondere bei niedrigen Börsenstrompreisen infolge ausgelasteter Netze - in wertvollen Wasserstoff umzuwandeln, müssen die Umwandlungsprozesse attraktiv ausgestaltet werden. Aktuell verhindert der regulative Rahmen noch weitestgehend die Umwandlung von Strom in Wasserstoff (oder in Methan) im industriellen Maßstab und damit die Sektorenkopplung. Damit sich neue Wertschöpfungsketten, die auf erneuerbaren Energien basieren in Sachsen entwickeln können, müssen die Rahmenbedingungen geändert werden.

 

7. zeitlich begrenztes Markthochlaufprogramm für Power-to-X-Anlagen

Jeder Anfang ist schwer und es ist nicht sicher, dass die Veränderungen der Rahmenbedingungen, die oben beschrieben wurden dazu führen, dass sich Investoren dazu entscheiden zwischen 2020 und 2030 im Freistaat Sachsen Millionensummen in erneuerbare Energien-Anlagen und Power-to-X-Anlagen zu investieren. Daher sollte die Staatsregierung mit der Bundesregierung ein zeitlich auf 10 Jahre begrenztes Markthochlaufprogramm für Power-to-X-Anlagen auflegen, mit dem Ziel im Jahr 2030 im Freistaat Sachsen Anlagen mit mindestens 1,5 GW-Leistung in Betrieb zu haben. Die Förderung sollte auf ca. 4.000 Vollbenutzungsstunden pro Jahr begrenzt werden und an die Voraussetzung geknüpft sein, dass nur erneuerbarer Strom in den Anlagen genutzt wird, der nicht auch schon über die EEG-Vergütung gefördert wurde. Zudem sollte für das Programm ein Ausschreibungsmodell gewählt werden, sodass verschiedene Anbieter um einen Preis bieten können und derjenige mit dem niedrigsten Preis gewinnt. Sachsen könnte zur Finanzierung des Programms einen Teil der von der Bundesregierung zugesagten Strukturhilfen verwenden. 

Somit ist sichergestellt, dass die Gaskraftwerke mehr und mehr mit EE-Gasen betrieben werden können, die in Sachsen produziert wurden. Auch die Nutzung von EE-Gasen in anderen Sektoren wird durch ein entsprechendes Markthochlaufprogramm wahrscheinlicher. Somit können auch die Industrie und der Verkehr ihren Beitrag zum Klimaschutz in Sachsen leisten - auch bei wirtschaftlichem Wachstum und Verkehrswachstum. Zugleich bieten die PtX-Anlagen ehemaligen Beschäftigten der Kohleindustrie gutbezahlte und sichere Arbeitsplätze in der Region.  

 

Fazit

 

Sachsen hat es in der Hand: die Energiewende kann auch zu einer industriepolitischen Wende werden und dazu beitragen, dass nicht nur die Klimaschutzziele erreicht werden, sondern auch die Lausitz und das mitteldeutsche Revier eine Zukunft als moderne Energie-Regionen haben. Hierfür müssen aber mit Mut und Entschlusskraft die Weichen in die richtige Richtung gestellt werden. Die Kohlekommission hat hierfür verschiedene Wege aufgezeigt. Sachsen muss jetzt bereit sein sie zu beschreiten und seine Zukunft zu gestalten.

 

 

Bildquelle: pixabay.com/DarkWorkX

 


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