Anfang Juni 2018 setzte die Bundesregierung die Kommission „Wachstum, Strukturwandel und Beschäftigung" (sogenannte Kohle-kommission) ein. Drei Monate später folgte ihr die Kommission "Nationale Plattform Zukunft der Mobilität", die einen Pfad zur Erreichung der Klimaschutzziele im Verkehrssektor aufzeigen sollte. Zeitlich parallel sollte laut Koalitionsvertrag zwischen CDU/CSU und SPD auch im Bausektor vorgegangen werden, um eine Grundlage für das Erreichen der Sektorenziele 2030 in Bezug auf die Klimaschutzziele 2050 zu erarbeiten. Laut Koalitionsvertrag sollen insgesamt 15 Kommissionen im Laufe der Legislaturperiode eingesetzt werden (Kohle, Gebäude, Verkehr, Rente, berufliche Bildung, Daten-Ethik, Wettbewerbsrecht 4.0, Honorarordnung, Integration, Fluchtursachen, Nachhaltige Baulandmobilisierung und Bodenpolitik, Gleichwertige Lebensverhältnisse, Antiziganismus, Personengesellschaftsrecht, Direkte Demokratie).
Für die Politik bieten solche Kommissionen verschiedene Vorteile: zuallererst wird Zeit gewonnen. Noch wichtiger ist aber die Delegation der politischen Verantwortung für richtungsweisende politische Entscheidungen – beides wird von Kritikern gern unter den Begriff des „Aussitzens“ subsumiert. Gemeinsame Kommissionsarbeit bietet mithin zweierlei: Einerseits können in diesem Rahmen sich gegenüberstehende Interessengruppen an einen Tisch gebracht und hinter einer gemeinsam gefundene Linie vereinigt werden. Andererseits kann so dem Vorwurf der Untätigkeit in bestimmten politischen Fragen von Vornherein der Wind aus den Segeln genommen werden – wo sämtliche Betroffene nicht in der Lage sind, einen gemeinsamen Nenner zu finden, kann auch die Politik die Schuld von sich weisen, keine gemeinwohltaugliche Lösung gefunden zu haben.
Die „Mithaftung" für das gemeinsame Ergebnis kann so heftige oder langwierige politische Konflikte zwischen Interessensgruppen befrieden. Zudem kann sich die Politik zur bloßen Exekutive von Kommissionsergebnissen machen, indem sie darauf verweist, dass sie lediglich das umsetze, was die Kommission vorgeschlagen habe; oder es eben keine gemeinwohltaugliche Lösung gebe, die umgesetzt werden könne. Die Politik entpolitisiert damit Streit- und Richtungsfragen, die mitunter hochpolitisch sind (vgl. Endlagerkommission). Zugleich delegitimiert sie sich zumindest teilweise selbst, denn die Wähler*innen erwarten ja gerade von einer verantwortungsvollen Politik Entscheidungen zu treffen und diese nicht auf andere abzuwälzen.
Für die Public Affairs können solche Kommissionen, auch wenn erst einmal die gewohnten Pfade der Gesetzgebung verlassen werden, einerseits große Chancen bieten. Denn hier werden nicht einzelne Gesetze vorbereitet, sondern mitunter ganze Branchenfelder neu abgesteckt und die Rahmenbedingungen neu festgelegt. Wer hier sein Interesse nicht einbringt, der erhält womöglich - siehe Kohlekommission - nie wieder die Gelegenheit dazu. Denn aus oben genannten Gründen hütet sich die Politik zumeist davor, das Thema in absehbarer Zeit wieder aufzugreifen. Doch wer es schafft, sein Interesse erfolgreich einzuspeisen und mit den anderen Akteuren geschickt zu verhandeln, der sichert sich womöglich auf Jahrzehnte hinweg eine gute Ausgangsposition und erhält seine licence to operate.
Daraus folgt jedoch, dass es, andererseits, aber auch ein Public Affairs-Ziel sein kann, die Einrichtung von Kommissionen zu verhindern, denn oft ist es gerade Ziel oder Mittel, den status quo in den Kräfteverhältnissen der Interessen beizubehalten. Ebendies scheint bspw. der Gebäude-Branche erfolgreich gelungen zu sein, denn im Februar wurde bekannt, dass die Große Koalition darauf verzichtet, die geplante "Bau/Gebäude-Kommission" einzurichten.
Ist die Einrichtung einer Kommission nicht abwendbar oder sogar im eigenen Interesse, gilt es sich fünf strategischen Herausforderungen zu stellen und somit das Potenzial der Kommissionsarbeit in reale Public Affairs-Erfolge umzumünzen.
Erstens bedarf die Mitarbeit in Kommissionen mit klarem Arbeitsauftrag der Bereitstellung umfangreicher zeitlicher und personeller Ressourcen - gerade kleinere Verbände oder NGOs sehen sich bereits an diesem Punkt großen Herausforderungen gegenübergestellt. Mitunter kann es Sinn ergeben, einige Aufgaben auszulagern und sich insbesondere bei der Vorbereitung von Sitzungen extern unterstützen zu lassen. Erfolgsversprechender ist jedoch die Bildung zeitlich begrenzter Allianzen. Hierdurch lassen sich Ressourcen sparen und Strategien abstimmen.
Zweitens werden Kommissionen teilweise so zusammengesetzt, dass es entweder keine klaren oder gar strategische ausgerichtete Mehrheitsverhältnisse gibt – letzteres vor allem, wenn die Politik ein bestimmtes Ziel im Auge hat, ohne es selbst durchsetzen zu können oder zu wollen. Es kommt also tatsächlich auf geschickte Verhandlungen und Kompromisse an. Diese Prozesse sind auch eingespielten Public Affairs-Akteuren nicht unbedingt vertraut, denn sie weichen zum Teil erheblich von den Logiken erfolgreicher Public Affairs ab. Hier kann es sich empfehlen, statt der eigenen Public Affairs-Verantwortlichen oder den Leiter*innen der Fachabteilungen, Verbands- oder Unternehmenschefs in die Verhandlungsrunden zu entsenden. Gerade, wenn die Kommission nicht nur aus der Arbeitsebene verschiedener Akteure zusammengesetzt ist, sollte stets auf die Besetzung der Verhandlungsrunden „nach Flughöhe“ geachtet werden. Externe Unterstützung zur Vorbereitung ist gut, aber die eigentlichen Verhandlungen sollten von authentischen und erfahrenen Führungspersönlichkeiten geführt werden.
Drittens haben alle Kommissionsmitglieder einen Anreiz, Zwischenergebnisse oder auch nur Diskussionsstände durchzustechen und somit die Arbeit der Kommission durch öffentliche Begleitmusik zu beeinflussen. Dies war kürzlich im Zuge der wochenlangen Diskussion um ein Tempolimit anschaulich zu beobachten und führte wohl auch zum Erfolgt, denn Minister Scheuer äußerte in der Folge eine klare Ansage in Bezug auf die von ihm erwarteten Ergebnisse. Hiergegen ist kein Kraut gewachsen. Allerdings arbeiten viele Kommissionen über einen langen Zeitraum und abseits der Öffentlichkeit. Am Ende zählt das Ergebnis und nicht die Anzahl der FAZ-Artikel zur eigenen Position. Mithin kann öffentliche Begleitmusik auch die eigene Arbeit in der Kommission erschweren.
Viertens haben Kommissionsmitglieder, die befürchten müssen, dass die Kompromissfindung der Kommission zu ihren Ungunsten verläuft, einen starken Anreiz vor Abschluss der Verhandlungen eine "Exit-Strategie" zu wählen und die Kommission zu verlassen oder gar ihre Arbeit und die Ergebnisse zu kompromittieren. Dann fehlt der Kommission ggf. die Legitimation und sie wirkt nur noch wie ein Branchenbündnis oder eben wie ein „politisches Feigenblatt“. Der Leitung der Kommission kommt daher auch immer eine besonders moderative Rolle zu. Wer zu echten Kompromissen in der Kommissionsarbeit bereit ist und seine Allianzen nicht dazu nutzt, Mehrheitsmeinungen in die Abschlusspapiere hineinzuformulieren, der provoziert auch keinen Exit der anderen Kommissionsmitglieder. Bei einer Kommission gewinnen am Ende alle oder keiner. Daher sollte man vor Beginn der Arbeit in der Kommission klare Ziele und rote Linien definieren. Somit wird schnell klar, wo man selbst zu Kompromissen bereit sein kann und wofür es sich wirklich lohnt bis zu letzt zu kämpfen.
Fünftens haben ausgehandelte „Lösungen" bzw. Ergebnisse als solche nicht für die Ewigkeit bestand. Im Gegenteil: alle Beteiligten erwarten, dass erzielte Kompromisse zeitnah final durch die Politik umgesetzt werden. Als Kommissionsmitglied muss es das Ziel sein, gemeinsam mit allen anderen Mitgliedern zu versuchen, die Politik auf die Ergebnisse zu verpflichten und auf eine eins-zu-eins Umsetzung zu drängen. Außerdem gilt es, die Ergebnisse gegen Nicht-Mitglieder und gegenüber der kritischen Öffentlichkeit zu verteidigen. Darüber hinaus muss in der eigenen Anhängerschaft/Belegschaft für die erzielten Verhandlungserfolge geworben werden. Nach der Kommissionsarbeit ist also der beste Zeitpunkt für das eigene PR-Gewitter, denn dann geht es darum die Deutungshoheit für die Ergebnisse – zumindest im eigenen Stakeholderumfeld – zu erhalten. Die Zeit nach Veröffentlichung des Abschlussberichtes der Kohlekommission verdeutlicht, wie bedeutungsvoll diese Phase für den Public-Affairs-Erfolg ist. Sätze im Abschlussbericht, die die eigenen Interessen wiederspiegeln reichen nicht aus. Ähnlich wie beim Koalitionsvertrag sind sie vielfach nur Ausgangspunkt der Public-Affairs-Arbeit. Sie eröffnen Handlungsspielräume und oder machen klar, wo sich Public-Affairs-Arbeit nicht mehr lohnt.
Erfolgreiche Public Affairs ist in Zeiten von Kommissionen komplexer und aufwendiger. Mitunter lohnt sich der Mehraufwand jedoch, um Themenfelder langfristig im eigenen Interesse zu besetzen. Auch ermöglichen Kompromissfindungsprozesse innerhalb der Verhandlungsrunden die alten Freund-Feind-Schemata zu überwinden und neue, strategische Bündnispartner zu gewinnen.
Bettina Hornbach & Christian Storch
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