Nicht bis nach der Krise warten: jetzt Verkehrswende gestalten

Covid-19 ist ein tödlicher Virus und seine Folgen sind vielfach verheerend. Die Maßnahmen zur Eindämmung bzw. Verlangsamung der Pandemie haben in Europa die Mobilität stark verändert. Wie eine Auswertung der Daten des Navigationsgeräte-Anbieters TomTom zeigt, lag im italienischen Bergamo und in Mailand die Verkehrsdichte am 20. März nur noch bei 17 Prozent im Vergleich zum Vergleichstag vor der Krise, dem 24. Januar. Der Verkehr ging also um 83 Prozent zurück. In Wien betrug der Rückgang ca. 56 Prozent und in Berlin immerhin 36 Prozent. [1] Durch die veränderte Mobilität sinken die CO2-Emissionen im Verkehrssektor und die Luftqualität in den Städten wird besser. Viele Menschen steigen für ihre Wege zur Arbeit oder zum Einkaufen auf das Fahrrad um. In Berlin und Bremen schaffen die Stadtregierungen mehr Platz fürs Rad, indem sie in ersten Pilotprojekten temporäre Radwege einrichten.

 

Diese Entwicklungen wirken zunächst wie kurzfristige Einmaleffekte, aber sie bieten die Chance eine echte Verkehrswende einzuleiten. Nach der Krise besteht die große Gefahr, dass viele Akteur*innen im Verkehrssektor zurück zum vorherigen status quo wollen. Wenn die Corona-Krise vorüber ist wird die Frage aufkommen, ob wir uns Klimaschutz – auch im Verkehr – überhaupt noch leisten können oder wollen. Deswegen ist jetzt und nicht nach der Krise der richtige Zeitpunkt verkehrspolitisch die Weichen neu zu stellen. Der konjunkturellen Erholung nach der Krise steht nachhaltige Mobilität nicht im Weg. Im Gegenteil: sie ist ihr Wegbereiter und Taktgeber.

  

Aber auch schon vor der Corona-Pandemie zeigte sich, wie groß das Potential von Radverkehr, gerade in Verbindung mit ÖPNV-Anbindung ist: Laut einer aktuellen Forsa-Umfrage können sich 44 Prozent der Befragten vorstellen, künftig mit einer Kombination aus Fahrrad und Zug zur Arbeit zu fahren. Besonders wichtig sind diesen Menschen aber, dass die Zugverbindungen mit einem dichteren Takt fahren und dass ihre Fahrräder an den Bahnhöfen geschützt vor Diebstahl und Vandalismus abgestellt werden können. [2] 

 

Auf drei Feldern könnten Veränderungen der Mobilität, die sich durch die Corona-Krise ergeben haben, nach der Krise verstetigt werden, sodass die Verkehrswende einige entscheidende Schritte vorankommt und die konjunkturelle Erholung unserer Volkswirtschaft nicht zulasten des Klimaschutzes im Verkehr erfolgt:

 

1. Güterverkehr auf der Schiene, nicht auf der Straße fördern

 

Güterzüge stehen an den Grenzen nicht im Stau, ersetzen hunderte Lkw und benötigen im Vergleich wenig Personal. Der Güterverkehr muss in signifikantem Ausmaß von der Straße auf die Schiene verlagert werden. Dafür ist genau jetzt der richtige Zeitpunkt. Hierfür braucht es aber politische Steuerung – von selbst verlagert sich der Güterverkehr nicht auf die Schiene. Daher sollten die Lkw-Maut-Sätze deutlich erhöht werden, sodass alle externen Kosten (Lärm und Luftverschmutzung) vollständig einbezogen/angelastet werden. Zudem sollte die Lkw-Maut um eine CO2-Komponente ergänzt werden. Die bisherige Maut-Lücke zwischen 3,5 und 7,5 Tonnen führt dazu, dass viele Transportunternehmen lieber mehrere Kleintransporter statt eines Lkw auf die Autobahnen schicken und somit die Lkw-Maut umgehen. Dem Staat entgehen so jährlich hunderte Millionen Euro, die Autobahnen sind durch dieses Vorgehen hoch belastet. Daher sollte die Lkw-Maut auf alle Lkw ab 3,5 Tonnen ausgeweitet werden. Damit die Lkw-Maut auch wirklich zu einem klimapolitischen Instrument werden kann, müssen die Einnahmen vor allem zum Ausbau der Schienen-Infrastruktur herangezogen werden.  w. Auch der nur wenig rentable Einzelwagenverkehr von DB Cargo und den anderen Güterverkehrsunternehmen in Deutschland, sollte gefördert werden. Wenn zugleich die Transportpreise auf der Schiene, also die sogenannte Schienenmaut, gesenkt wird, dann  schließt sich die Preisschere zwischen dem Transport von Gütern auf der Straße und der Schiene, der Wettbewerb wird endlich fair und es besteht die Chance, nach der Corona-Krise den Güterverkehr endlich spür- und messbar von der Straße auf die Schiene zu verlagern.

 

2. Nicht nur Krisen-Pilotprojekte – jetzt in den Radverkehr investieren

 

Damit diejenigen, die in der Corona-Krise auf das Rad umgestiegen sind nicht nach der Krise direkt wieder ins Auto steigen, müssen Bund und Länder jetzt in den Radverkehr investieren. Pilotprojekte, wie in Berlin und Bremen sind schön, aber sie sind nicht von Dauer. Zusätzlich zu den bisherigen Mitteln sollte der Bund mindestens 800 Millionen Euro in den Radverkehr investieren. Dazu gehören die Förderung von Fahrradparkhäusern an Bahnhöfen und Knoten- bzw. Umstiegepunkten, ein „1-Millionen-Lastenrad/Lasten-Pedelec-Programm“ für Handwerker*innen, Kleinunternehmer*innen, Familien und Wohngemeinschaften, das einen 1000 Euro Zuschuss zum Kauf eines Lastenrades gewährt und der forcierten Bau von Radwegen an Bundesfernstraßen und von Radschnellwegen. Auch zum Kauf eines Pedelecs  sollte es einen Kaufzuschuss geben: gerade im ländlichen Raum können dann auch längere Strecken mit dem Fahrrad zurückgelegt werden –  ohne dafür Radrennfahrer*in sein zu müssen. Außerdem sollte der Bund Kommunen fördern, Kreuzungen so umzubauen, dass sie für alle Verkehrsteilnehmer sicher sind. Das alles sind Investitionen, die sich doppelt lohnen. Zum einen wird so klimafreundliche Mobilität gefördert und zum anderen kommen wir mit einer ausgebauten und sicheren Radverkehrsinfrastruktur auch der „Vision Zero“, also das Ziel, dass niemand mehr im Verkehr getötet wird und kaum noch schwere Unfälle passieren, näher. Der Bund sollte darüber hinaus Städte und Gemeinden fördern, die Pkw-Parkplätze in Fahrrad- und Lastenradparkplätze umwidmen bzw. umbauen. Und besonders wichtig: jetzt braucht es ein Planungsbeschleunigungsgesetz für Radverkehrsinfrastrukturen, denn es kann nicht sein, dass Planung- und Genehmigung eines Radweges länger dauern als bei einer Autobahn. Nur, wenn wir jetzt entschlossen und umfassend in den Radverkehr investieren, dann sind die Krisen-Radfahrer auch die Radfahrer von morgen und übermorgen.

 

3. Klimaschädliche Subventionen abbauen und veränderte Mobilität verstetigen

 

Jetzt ist der richtige Zeitpunkt alle klimaschädlichen Subventionen, die den Zielen der Verkehrswende zuwiderlaufen rigoros abzubauen. Nach der Krise können wir es uns erstens nicht mehr leisten klimaschädliche Mobilität weiter zu subventionieren, insbesondere, wenn wir nicht wieder in die Art der Automobilität zurückfallen wollen, die wir bisher hatten. Zweitens haben wir so die Chance das veränderte und klimafreundlichere Mobilitätsverhalten der Menschen in der Krise zu verstetigen. Zwei Subventionen können problemlos und sofort abgeschafft werden: Zum einen das Dieselprivileg. Dass Diesel-Kraftstoff durch den Staat künstlich verbilligt wird, kostete den Bund allein im Jahr 2018 rund 8,2 Milliarden Euro [3]. Zum anderen die Steuerbefreiung von Kerosin. Diese Steuervergünstigung bzw. indirekte Subvention schlug im Staatshaushalt 2018 mit 584 Mio. Euro zu Buche. [4] Die freiwerdenden Milliarden könnte der Bund nutzen um den Güterverkehr auf der Schiene und den Radverkehr wie oben beschrieben zu fördern und auch in anderen Bereichen in Verkehrswendeprojekte und -maßnahmen zu investieren, die sich kurz-, mittel- und langfristig auszahlen. 

 

 

Entscheidend ist, dass jetzt schnell gehandelt wird: den aktuellen Berechnungen zufolge, haben wir noch ca. acht bis zehn Jahre Zeit, um politische Maßnahmen zu Erreichung des 1,5 Grad Ziels im Klimaschutz zu treffen. Jetzt und nicht nach der Corona-Krise ist der richtige Zeitpunkt die Verkehrswende zu gestalten. Dafür können wir uns einen klimapolitischen Roll-Back unter dem Druck einer globalen Wirtschaftskrise bzw. in der anschließenden konjunkturellen Erholung nicht leisten.

 

 

Svenja Appuhn und Christian Storch

 

 

Quellen:

 

[1] https://www.spiegel.de/wirtschaft/corona-krise-massive-rueckgaenge-im-flug-schiffs-und-autoverkehr-a-c859587d-6ca6-439b-a420-f0583741170c

 

[2] https://www.allianz-pro-schiene.de/wp-content/uploads/2020/03/Ergebnisbericht_Allianz_pro_Schiene_Nutzung_Fahrrad_Zug.pdf

 

[3] http://dip21.bundestag.de/dip21/btd/19/104/1910442.pdf , Antwort auf Frage 17.

 

[4] http://dip21.bundestag.de/dip21/btd/19/104/1910442.pdf , Antwort auf Frage 19.

 

Ihr seht etwas in diesem Beitrag anders? Dann lasst uns darüber sachlich streiten!

 

 

 

Schreibt uns euren Kommentar und diskutiert mit uns: hier, auf Twitter, LinkedIn oder Xing

 

Kommentar schreiben

Kommentare: 0